94 Der Sturm

Vielleicht war Nelsons Tod der Schlusspunkt der Schlacht von Trafalgar, doch wir fänden es allzu ungerecht, die Namen so vieler Tapferer unerwähnt zu lassen, die alles für ihr Vaterland gaben, indem sie starben wie er.

Wir verließen einen verzweifelten Villeneuve auf dem zerstörten Deck der Bucentaure, ohne ein einziges seetüchtiges Boot, das ihn zu einem seiner unversehrt gebliebenen Schiffe hätte bringen können – unversehrt, weil sie sich dem Feuer entzogen hatten. Hätte er eines dieser zehn Schiffe erreichen können, die sich keinem Gegner hatten stellen müssen, nachdem sie einige Salven mit Nelsons Schiffen gewechselt hatten, und hätte er sich mit dieser machtvollen Verstärkung wieder in den Kampf werfen können, dann wäre die Schlacht zweifellos weniger eklatant verloren gewesen, als es nun der Fall war.

Doch da er an die Bucentaure gefesselt war wie ein Lebender an einen Leichnam, allen Schlägen ausgesetzt, ohne einen einzigen Schlag führen zu können, sah er sich gezwungen, die Fahne zu streichen.

Daraufhin kam eine englische Schaluppe, um ihn abzuholen, und brachte ihn an Bord der Mars.

Konteradmiral Dumanoir hatte Villeneuves Signale wiederholt. Die zehn Schiffe, an die sie sich richteten, waren die Héros, deren Kapitän Poulain schon bei Beginn der Kampfhandlungen gefallen war, die San Augustin, die San Francisco de Asis, die Mont-Blanc, die Duguay-Trouin, die Formidable, die Rayo, die Intrépide, die Scipion und die Neptune.

Doch nur vier von ihnen gehorchten den Signalen ihres Kommandanten, indem sie ihre Boote als Schlepphilfen benutzten, um zu wenden. Dies waren die Mont-Blanc, die Duguay-Trouin, die Formidable und die Scipion; allerdings hatte der Konteradmiral ihnen Signal gegeben, gegen den Wind zu wenden, was ihnen ermöglicht hätte, aufzuholen und sich in das Getümmel zu stürzen, sobald es ihnen opportun erschienen wäre.

Konteradmiral Dumanoir befehligte die Formidable, und er machte sich daran, zusammen mit den anderen drei Schiffen die Schlachtlinie von Norden nach Süden entlangzufahren; dann hätte er jederzeit das Feuer gegen die Engländer eröffnen können, doch es war spät, drei Uhr nachmittags; fast überall war die Niederlage unübersehbar – die Bucentaure hatte sich ergeben, die Santissima Trinidad war manövrierunfähig, die Redoutable zum Wrack geschossen; von allen Seiten jagten die Engländer den Schiffen nach, die leewärts gefallen waren, und unterdessen fanden sich die vier Schiffe unter Dumanoirs Kommando lebhaftem Feuer ausgesetzt, das ihre Kampfkraft nicht unerheblich beeinträchtigte. Sie ließen sich von diesem Beschuss abschrecken und entfernten sich von dem Gefecht, ohne sich einzumischen.

Die Abteilung der französischen Schlachtlinie, die mit Collingwoods Kolonne zusammengetroffen war, kämpfte mit beispiellosem Mut.

Die spanischen Schiffe Santa Ana und Principe de Asturias verdienten allein einen Ehrenplatz in der Geschichte.

Nach zweistündigem Kampf hatte die Santa Ana, das erste Schiff der Nachhut, alle drei Masten eingebüßt und hatte die Royal Sovereign fast ebenso übel zugerichtet wie diese sie selbst. Sie hatte ihre Fahne gestrichen, doch erst als Admiral Alava schwer verwundet worden war.

Die Fougueux, die der Santa Ana am nächsten war, hatte keine Mühen gescheut, sie zu unterstützen und die Royal Sovereign daran zu hindern, die Schlachtlinie zu durchbrechen, doch die Monarca, die ihr hätte folgen sollen, hatte sie im Stich gelassen. Von zwei gegnerischen Schiffen in die Zange genommen, hatte die Fougueux beide kampfunfähig gemacht, und im Nahkampf mit der Temeraire hatte sie drei Enterversuche abgewehrt und von siebenhundert Mann vierhundert verloren.

Ihr Kommandant Kapitän Beaudoin war gefallen; Leutnant Bazin hatte seine Stelle eingenommen; doch die Engländer hatten einen vierten Angriff unternommen und diesmal die Schanz erobert; verwundet und blutüberströmt, von nur mehr wenigen Getreuen umringt und zur Back zurückgedrängt, hatte Bazin sich gezwungen gesehen, die Fahne zu streichen.

An der Stelle, wo die Monarca hätte kämpfen sollen, hatte die Pluton unter dem Kommando von Kapitän Cosmao ihren Platz eingenommen und sich der englischen Mars in den Weg gestellt, die sie mit heftigem Feuer bestrich, um danach zum Entern anzusetzen, als ein Dreidecker sie aufs Korn nahm und ihr Heck beschoss. Mit einem geschickten Wendemanöver war es der Pluton gelungen, dem neuen Gegner zu entkommen, ihm die Seite anstelle des Hecks zu präsentieren und ihm mehrere todbringende Breitseiten zu schicken, anstatt selbst beschossen zu werden.

Danach hatte die Pluton sich wieder ihrem ersten Gegner zugewendet, hatte ihm unter Ausnutzen des günstigen Windes zwei Masten zerschossen und ihn außer Gefecht gesetzt, und als Nächstes versuchte sie, die französischen Schiffe zu unterstützen, die gegen einen übermächtigen Gegner kämpften, nachdem ein Teil der französischen Flotte sich weit weniger pflichtbewusst als die Pluton gezeigt hatte und Kurs nach Norden genommen hatte.

Hinter der Pluton vollbrachte die Algésiras wahre Wunder an Tapferkeit. Befehligt von Konteradmiral Magon, kämpfte sie so unverdrossen wie zuvor nur die Redoutable.

Konteradmiral Magon stammte von der Île de France und aus einer Familie, die aus Saint-Malo kam. Er war jung, schön, tapfer. Als er die Trikolore hisste, hatte er seine Mannnschaft zusammengerufen und demjenigen, der als Erster den Gegner enterte, ein prachtvolles Degengehänge versprochen, das die Compagnie des Philippines ihm verehrt hatte.

Diese schöne Belohnung wollte sich jeder verdienen.

Im Wetteifer mit den Kommandanten der Redoutable, der Fougueux und der Pluton trieb Konteradmiral Magon seine Algésiras vorwärts, um den Engländern den Weg zu versperren und zu verhindern, dass sie die Schlachtlinie aufbrachen. Bei diesem Manöver traf er auf die Tonnant, ein einstmals französisches Schiff, das nach Abukir englisch geworden war und von einem mutigen Offizier namens Tiller befehligt wurde. Er nähert sich bis auf Pistolenschussweite, lässt feuern, wendet dann und rammt seinen Bugspriet in die Wanten des gegnerischen Schiffs. Nun ruft er die tapfersten seiner Matrosen beim Namen, um mit ihnen die Tonnant zu entern. Als sie alle an Deck und auf dem Bugspriet versammelt sind, fährt eine Kartätschenladung in den Menschenknäuel, und Magon wird an Arm und Oberschenkel verwundet.

Er weigert sich, seinen Posten zu verlassen, doch seine Offiziere können ihn dazu überreden, sich verbinden zu lassen, damit er weiterkämpfen kann. Zwei Matrosen bringen ihn zum Lazarett, doch da erblickt er den englischen Kapitän Tiller, der sich anschickt, an der Spitze seiner Entermannschaft auf Deck der Algésiras zu springen; Magon schüttelt seine Begleiter ab, ergreift eine Enteraxt und wirft die Eindringlinge zurück, die ihren Angriff dreimal wiederholen und dreimal abgewiesen werden. Magons Flaggkapitän Letourneur fällt vor seinen Augen, und Leutnant zur See Plassant, der den Kapitänsposten übernimmt, wird sofort verwundet.

Magon, auffällig durch seine prunkvolle Uniform, wird abermals verwundet und steht kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Er übergibt das Kommando kurzfristig an Offizier de la Bretonnière und lässt sich von zwei Matrosen in das Zwischendeck bringen.

Doch durch die klaffende Öffnung in der Seite seines Schiffs trifft ihn eine Kartätschenkugel mitten in die Brust, und er fällt im selben Augenblick wie der Fockmast, den eine Kanonenkugel zum Einsturz bringt.

Das Deck der Algésiras ist jetzt schutzlos und völlig entmastet und wird von den Engländern im Sturm geentert.

Neben der Algésiras führen vier weitere französische Schiffe mit bewundernswertem Mut einen hartnäckigen Kampf: die Aigle, die Swiftsure, die Berwick und die Achille.

Nach einem erbitterten Nahkampf mit der Bellerophon von fast einer Stunde Dauer wird die Aigle ohne ihr Zutun von ihrem Gegner abgedrängt, den einzunehmen sie im Begriff war, und gegen die Belleisle getrieben. Ihr Kommandant, der tapfere Kapitän Courège, fällt um drei Uhr, doch sein Schiff kämpft weiter und streicht die Flagge erst um halb vier Uhr unter den vereinten Salven der Revenge und der Defence.

Die Swiftsure hat zweihundertfünfzig Mann verloren. Ihr Kommandant und ihr Kapitän wurden auf der Wachtbank getötet.

Leutnant Lune übernimmt ihren Posten und stirbt wie sie. In auswegloser Lage zwischen den gegnerischen Schiffen Bellerophon und Colossus ergibt die Swiftsure sich zuletzt.

Die Berwick, kommandiert von Kapitän Camas, den James in seiner Geschichte der Marine den tapferen Kapitän Camas nennt, kämpft erfolgreich gegen die Achille und die Defence. Die drei Masten der Berwick werden an ihrem Fuß weggeschossen, doch die zwei Batterien spucken weiter Feuer, von einundfünfzig Leichen bedeckt, während zweihundert Verwundete in das Zwischendeck geschafft werden.

Kapitän Camas fällt; Leutnant zur See Guichard überlebt ihn nur um wenige Minuten, und die Berwick fällt den Engländern zur Beute.

Die Achille, die als Erste die Belleisle angegriffen hatte, findet sich alsbald selbst eingekreist und dem Beschuss aus den hundertsechsundneunzig Kanonen der drei englischen Schiffe Prince, Swiftsure und Polyphemus ausgesetzt, nachdem es Letzterer gelungen ist, die französische Neptune abzuschütteln. Kommandant Deniéport wird am Oberschenkel verwundet, will seine Wachtbank nicht verlassen und wird an seinem Posten getötet; der lichterloh brennende Fockmast stürzt um, in Brand gesetzt von den Granaten der französischen Mastwächter, und bedeckt das Deck mit seiner glosenden Masse.

Die Achille steht in Flammen, und ringsum ist kein alliiertes Schiff mehr zu sehen. All ihre Offiziere sind tot oder verwundet; ein Fähnrich zur See hat das Kommando übernommen. Er heißt Cochard und ist das einzige Überbleibsel eines Stabs heldenhafter Offiziere.

Er kämpft ohne Hoffnung, doch er kämpft weiter; die Furcht vor einer schrecklichen Explosion lässt die englischen Schiffe auf Distanz zur Achille gehen und erlaubt ihr, den Brand zu löschen, der Nebensache war, solange der Gegner sich in Gefechtweite befand. Die letzte Tat des jungen Offiziers besteht darin, die Flagge an die Gaffel zu nageln, bevor die Achille mit ihrer Mannschaft in die Luft geht.

Der Tod dieses Kindes ist kaum weniger heldenhaft als der Nelsons, mag dieser noch so ruhmreich sein.

Während Admiral Dumanoir sich mit seinen vier Schiffen davonstahl, kam ein Schiff, die Intrépide, unter seinem Kapitän Infernet kühn zurück, um sich in das tobende Gefecht zu stürzen. Seine Trikolore ist die letzte französische Flagge, die noch weht; sie kann die Leviathan und die Africa abwehren, wird von der Agamemnon und der Ajax unter Beschuss genommen, kämpft Bord an Bord gegen die Orion, versucht zweimal zu entern, wehrt selbst einen Enterversuch ab und ergibt sich erst, als die Conqueror als sechstes gegnerisches Schiff ihr den letzten Mast wegschießt und von ihren fünfhundertfünfundfünfzig Mann Besatzung dreihundert Mann außer Gefecht sind.

Das Streichen der Flagge der Intrépide war der letzte Seufzer in der Schlacht von Trafalgar.

Der Kampf war beendet, und die Schlacht war zweifelsfrei verloren. Einzelne Namen hatten ungeahnten, wenn auch posthumen Ruhm erworben und dem persönlichen Triumph inmitten der allgemeinen Niederlage neuen Glanz verschafft. Villeneuve hatte bis zuletzt nichts unversucht gelassen, um den Tod zu finden; Konteradmiral Magon hatte den Tod gefunden; Lucas hatte an der Spitze seiner Mannschaft, von der nur sechsunddreißig Männer überlebten, wie ein Löwe gekämpft, und aus einem seiner Mastkörbe hatte die Hand eines unbekannten Scharfschützen die Kugel abgeschossen, die Nelson getötet hatte. Die Achille hatte die Taten der Vengeur wiederholt; Infernet und Cosmao hatten Mut und Kühnheit ohnegleichen bewiesen.

Frankreich und Spanien hatten siebzehn Schiffe an die Engländer verloren, ein Schiff war explodiert, und sechs- bis siebentausend Tote und Verwundete waren zu beklagen.

Die Engländer konnten sich eines uneingeschränkten Sieges rühmen, doch dieser Sieg war blutig, grausam und teuer erkauft: Nelson war tot und die englische Marine war im wahrsten Sinne des Wortes enthauptet.

Nelsons Tod wog schwerer als der Verlust einer ganzen Armee.

Die Sieger hatten siebzehn Schiffe im Schlepptau, allesamt fast vollständig entmastet und leck, und hatten einen Admiral zum Gefangenen gemacht.

Wir hingegen hatten den Ruhm einer Niederlage, unerreicht in der Geschichte durch Mut und Hingabe der Unterlegenen.

Nacht und stürmisches Wetter vollendeten den Sieg der Engländer. Das Rippenwerk sechs zu Wracks geschossener Schiffe bezeugte den Mut ihrer Besatzungen. In der Dünung, die bei Sonnenuntergang mit dem Wind auffrischte, konnten sie sich kaum über Wasser halten.

Statt die Flotte ankern zu lassen, wie Nelson es so inständig verlangt hatte, verwendete Collingwood, der das Kommando über diesen Trümmerhaufen übernommen hatte, den Rest des Tages darauf, die siebzehn im Gefecht eroberten Schiffe zu bemannen, bis der Sturm und die Dunkelheit ihn überraschten, während er in den Trümmern der Gegner Nachlese hielt.

Wasser, Wind, Blitzschlag, Klippen – alle Geißeln des Himmels und des Meeres erfüllten die zwei Tage, die auf die Schlacht folgten, mit mehr Schrecknissen, als der Tag des Gefechts geboten hatte. Das aufgewühlte Meer nahm sechzig Stunden lang die drei Flotten zum Spielball, ohne zwischen Siegerin und Besiegten zu unterscheiden.

Ein Teil der von Nelsons Flotte eroberten Schiffe wurde durch die Gewalt des Meeres von den Verbindungstauen losgerissen und entfloh oder ließ sich von den Wellen an die Klippen des Kaps von Trafalgar treiben.

Die Bucentaure wurde an den Felsen der Küste zerschmettert. Die Indomptable beleuchtete mit den Feuern an ihrem Deck ihren Kurs zur spanischen Küste und sank mit Mann und Maus vor Rota. Ein einziger Schrei war zu hören, der Schrei der ganzen Mannschaft, die vom Ozean verschlungen wurde.

Als Collingwood sah, dass der Wind ihm eine Beute nach der anderen entriss, ließ er die Santissima Trinidad in Brand setzen und verbrannte mit ihr zusammen drei spanische Dreidecker, die San Augustin, die Argonauta und die Santa Ana.

Das Meer schien sich kurzzeitig zu beruhigen, der Wind schien sich für einen Augenblick zu legen, so dass man den größten Scheiterhaufen brennen sehen konnte, der jemals auf dem Meer geschwommen war.

Die Besiegten befanden sich nach der Schlacht in einer weniger gefährlichen Lage als die Sieger. Admiral Gravina mit seinen elf Schiffen hatte in Cadiz einen nahen und sicheren Hafen, die Engländer hingegen waren schon zu weit auf See, um einen Hafen anzusteuern oder zu ankern und mussten nach den Mühen des errungenen Sieges dem Meer die Stirn bieten.

Im Sturm um das nackte Überleben kämpfend, auf Schiffen, die entmastet und kaum manövrierfähig waren, mussten sie es aufgeben, Prisen zu schleppen, die noch entmasteter und seeuntüchtiger waren als die eigenen Schiffe.

Sie ließen einige der Prisen zurück, die sie genommen hatten, und der Sieg des Meeres über die Trümmer der Engländer und die eigenen Trümmer entlockte den Besiegten Jubelrufe.

Die Engländer, in deren Schlepptau sich die Bucentaure befand, übergaben sie der übrig gebliebenen französischen Besatzung, als sie sich mitsamt ihren Gefangenen von Collingwood im Stich gelassen sahen, und die Franzosen dankten dem Sturm, der sie vor der wenig erbaulichen Zukunft auf einem Gefangenenschiff gerettet hatte, errichteten Behelfsmasten auf ihrem entmasteten Schiff, behängten sie mit Segelfetzen und nahmen Kurs auf Cadiz, vom Sturmwind unterstützt.

Die Algésiras, die den Leichnam des tapferen Konteradmirals Magon mit sich führte wie die Victory die sterblichen Überreste Nelsons, wollte ebenfalls den Sturm nutzen, um sich zu befreien. Trotz aller Spuren des Kampfes, in dem sie sich so heldenhaft geschlagen hatte, hielt sie sich besser über Wasser als die anderen Prisen, weil sie ein neues Schiff war, doch sie besaß keinen einzigen Mast mehr; das Schiff, das sie schleppte, konnte kaum manövrieren und kappte zuletzt die Taue, die es zum Gefangenen seiner Beute machten. Die englischen Soldaten an Bord der Algésiras, die auf die Beute aufpassen sollten, hielten sich für verloren und feuerten eine Kanone ab, um Hilfe herbeizurufen, doch die englische Flotte war mit ihren eigenen Sorgen zu beschäftigt, um ihnen zu antworten. Daraufhin wandten sie sich an einen französischen Offizier, den zweiten Kommandanten des Schiffs, auf dem sie sich befanden.

Dieser französische Offizier war Monsieur de la Bretonnière; sie baten ihn, mit seiner Mannschaft das Schiff zu retten und ihnen allen, Engländern wie Franzosen, das Leben zu retten.

Schon bei ihren ersten Worten erkannte de la Bretonnière, welchen Nutzen er aus der Situation ziehen konnte. Er verlangte, sich mit seinen Landsleuten zu besprechen, die unten im Schiff gefangen waren. Es wurde ihm gestattet.

Er sucht die Offiziere auf und unterhält sich mit ihnen unter vier Augen. Er berichtet ihnen, was soeben geschah. Mit der schnellen Auffassungsgabe, die der große Vorzug aller Franzosen ist, begreifen sie sofort, worum es geht. Auf der Algésiras befinden sich dreißig bis vierzig bewaffnete Engländer und zweihundertsiebzig entwaffnete Franzosen, die zu allem bereit sind, um den Engländern das Schiff zu entreißen. Die Offiziere gehen zu den einfachen Gefangenen, schildern ihnen das Vorhaben, werden mit Begeisterung gehört. Monsieur de la Bretonnière soll die Engländer auffordern, sich zu ergeben; wenn sie sich weigern, sollen sich die Franzosen auf ein Zeichen hin auf sie stürzen, und wenn die Engländer kämpfen, werden sie zwar viele ihrer Gegner töten, aber die Überzahl wird den Sieg davontragen.

Kapitän de la Bretonnière kehrt zu den Engländern zurück und überbringt ihnen die Antwort seiner Gefährten.

Dass die Algésiras inmitten so großer Gefahren sich selbst überlassen wurde, hebt alle Verpflichtungen auf. Die Franzosen lassen ausrichten, dass sie sich als frei betrachteten und dass es ihren Wächtern im Übrigen unbenommen sei zu kämpfen, sollten sie dies wünschen; die französische Besatzung ist unbewaffnet und wartet doch nur auf ein Zeichen, um sich in den Kampf zu stürzen.

In ihrer Ungeduld fallen zwei französische Matrosen englische Wachen an, werden mit dem Bajonett abgewehrt, und der eine ist tot, der andere schwer verwundet. Daraufhin bricht ein unvorstellbarer Tumult aus, doch Monsieur de la Bretonnière gelingt es, ihn einzudämmen und den englischen Offizieren Zeit zum Nachdenken zu geben. Sie überlegen kurz und ergeben sich dann den Franzosen unter der Bedingung, dass man sie freilassen wird, sobald das Schiff in Frankreich ankommt.

Monsieur de la Bretonnière stellt eine letzte Bedingung: die, dass die Engländer ihm erlauben, ihre Freiheit von der französischen Regierung zu erbitten, und er verspricht ihnen, diese Bitte erfüllt zu sehen.

Daraufhin ertönen Freudenrufe auf dem Schiff, Offiziere und Matrosen nehmen ihre Posten ein, die Marsstenge werden aus ihrem Versteck geholt, von den Schiffszimmerleuten an die Maststümpfe genagelt, Segel werden zutage gefördert und angebracht, und man setzt Kurs auf Cadiz.

Die ganze Nacht hindurch wütete der Sturm, den Nelson vorausgesehen hatte, und bei Tagesanbruch verstärkte er sein Toben. Die Algésiras kämpfte den ganzen Tag gegen das Unwetter; obwohl sie keinen Lotsen an Bord hatte, gelangte sie dank eines Matrosen, der mit den Gewässern um Cadiz vertraut war, bis zum Eingang in den Hafen.

Dort angekommen, wagt das Schiff sich nicht in den Hafen hinein; ihm blieben nur mehr ein schwerer Anker und ein dickes Tau, um sich dem Wind zu widersetzen, der es zur Küste blies, wo es stranden musste; gibt der Anker nach, ist die Algésiras verloren, denn sie befindet sich wenige Kabellängen von einem gefährlichen Landvorsprung entfernt.

Die Nacht verbringt die Schiffsmannschaft in allen Todesängsten, die man sich denken kann; dann wird es Tag; nachts waren Schreie zu vernehmen, die das Sturmgetöse übertönten: Die Bucentaure ist an der Küste gestrandet, doch die Indomptable, die neben ihr geankert hatte, die Indomptable, die wenig zum Kampfgeschehen beigetragen und folglich wenig Schäden davongetragen hatte, war mit guten Ankern und starken Tauen befestigt.

Den ganzen Tag lang feuerte man auf der Algésiras Notsignale ab, um Hilfe anzufordern. Einige Barken sind so todesmutig, Hilfe zu bringen, doch sie scheitern, bevor sie das Schiff erreichen. Einer Einzigen gelingt es, anzulegen und mit einem schwachen Anker zu ankern.

Die Nacht senkt sich wieder auf das Meer; die Algésiras und die Indomptable liegen wenige Kabellängen voneinander entfernt vor Anker; der Sturm braust heftiger als zuvor; eine doppelte Flamme lenkt alle Blicke zur Indomptable, die Notsignale abfeuert: Ihre zwei starken Anker haben nachgegeben, und sie treibt im Licht ihrer Fanale wie ein Flammengespenst mit der vor Verzweiflung schier wahnsinnigen Besatzung an Bord in wenigen Fuß Entfernung an der Algésiras vorbei, bevor sie mit ohrenbetäubendem Krachen an der Küste zerschellt.

Von einem Augenblick zum nächsten verschlingt das Meer alles: die Fanale, die das Schiff beleuchten, die Schreie, die laut widerhallen.

Fünfzehnhundert Mann, die sich an Bord geflüchtet hatten, verlieren ihr Leben.

Die Algésiras, die noch an ihren kleinen Ankern hängt, erlebt zum eigenen Erstaunen, dass der nächste Tag heraufzieht und der Sturm sich legt. Sie kehrt zur Reede von Cadiz zurück, wo sie im Schlamm stranden wird, bis die nächste Flut sie aus dieser misslichen Lage befreit.


Doch sehen wir nun, was während dieser entsetzlichen Ereignisse mit der Redoutable geschah, mit ihrem Kapitän Lucas und dem dritten Leutnant René.

Erst nach dreistündigem Gefecht hatte Lucas die Flagge gestrichen; von sechshundertdreiundvierzig Mann Besatzung waren fünfhundertzweiundzwanzig außer Gefecht gesetzt: dreihundert waren tot und zweihundertzwanzig schwer verwundet. Alle Offiziere und zwei von elf Seekadetten zählten zu Letzteren.

Kapitän Lucas hatte nur eine leichte Verwundung am Oberschenkel erlitten.

Die Redoutable selbst hatte den Großmast und den Besanmast eingebüßt, ihr Heck war durch den Dauerbeschuss seitens der Tonnant so eingedrückt, dass es nur mehr ein großes Loch bildete, und die Artillerie war durch das Entern, durch den Beschuss und zuletzt durch die Explosion einer Achtzehnerkanone und einer Sechsunddreißigerkarronade völlig demontiert.

Zu beiden Seiten war das Schiff durchlöchert wie ein Spitzenkragen oder entblößt wie ein Gerippe. Die gegnerischen Kugeln, die auf keine Planken mehr trafen, die ihnen Widerstand geboten hätten, drangen in das Unterdeck ein und töteten dort bedauernswerte Verwundete, die von den Wundärzten versorgt worden waren oder auf ihre Versorgung warteten.

Das Steuerruder war im Feuer jeder Manövrierfähigkeit beraubt worden. Mehrere Lecks waren entstanden, die Pumpen arbeiteten nicht mehr, die Victory und die Temeraire hatten sich an die Redoutable geheftet, waren jedoch nicht nur außerstande, die gekaperte Redoutable zu übernehmen, sondern auch, sich von ihr zu trennen.

Gegen sieben Uhr abends kam die englische Swiftsure und nahm die Redoutable ins Schlepptau.

Als es dunkel wurde, trat René zu Kapitän Lucas und schlug ihm vor, das Schiff zu verlassen und zur spanischen Küste zu schwimmen, die nur eine Meile entfernt war.

Lucas war ein ausgezeichneter Schwimmer, doch seiner Verwundung wegen befürchtete er, die Küste nicht zu erreichen. René sagte, er übernehme die Verantwortung und sei imstande, den Kommandanten schwimmend zu stützen und an Land zu bringen.

Lucas weigerte sich jedoch, auf dieses Angebot einzugehen, und riet René, nur an sich zu denken.

René schüttelte den Kopf. »Ich bin aus Indien gekommen, um Sie zu finden, Kommandant«, sagte er, »und ich werde Sie jetzt nicht verlassen. Sollten wir getrennt werden, wohlan, dann jeder für sich. Wo werden wir einander wiedersehen? In Paris?«

»Sie werden im Marineministerium erfahren, wo ich mich befinde, lieber Freund«, erwiderte Lucas.

Daraufhin trat René näher zu ihm und sagte: »Mein geschätzter Kommandant, in meinem Gürtel habe ich zwei Rollen von jeweils fünfzig Louisdors; würden Sie mir den Gefallen erweisen, eine davon zu nehmen?«

»Ich danke Ihnen, mein wackerer Freund«, sagte Lucas, »doch in einer Schublade in meinem Schlafzimmer, falls es dieses Zimmer noch geben sollte, besitze ich etwa dreißig Louisdor, aus denen ich Ihren Anteil bezahlen wollte. Sobald Sie in Paris ankommen, säumen Sie nicht, sich nach mir zu erkundigen, denn mein Dienstgrad verschafft mir Rücksichten, welche diese Bulldoggen Ihnen gegenüber vielleicht nicht zeigen werden.«

Am nächsten Tag schickte der Kommandant der Swiftsure ein Boot, um den Kommandanten Lucas und seinen Stellvertreter Monsieur Dupotet sowie den Unterleutnant zur See Ducrès abholen zu lassen. Sollte Kapitän Lucas wünschen, einen weiteren Offizier als Begleitung mitzunehmen, konnte er ihn nennen, und er würde auf die Swiftsure gebracht werden.

Den ganzen Tag über war man mit dem Bergen beschäftigt; die Redoutable sank so schnell, dass es mit bloßem Auge zu sehen war. Glücklicherweise war es gelungen, einhundertneunzehn Mann zu bergen; zwei weitere Männer stürzten bei der Bergung ins Wasser, und einer von ihnen ertrank.

Lucas hatte René gefragt, ob er ihn begleiten wolle, und René war mit ihm an Bord der Swiftsure gebracht worden.

Man nahm Kurs auf Gibraltar, und am nächsten Tag befand man sich nahe einer der zwei Säulen des Herkules.

René hatte sich nicht anmerken lassen, dass er die englische Sprache beherrschte, und deshalb konnte er mithören, was in seiner Gegenwart auf Englisch und auf Spanisch gesagt wurde.

Auf diese Weise erfuhr er, dass die Gefangenen auf Fregatten nach England verbracht werden sollten und deshalb getrennt werden würden, da eine Fregatte nicht mehr als zusätzliche sechzig bis siebzig Mann aufnehmen konnte.

Wenige Tage später berichtete er Lucas, dass dieser seines Rangs wegen auf einem Kriegsschiff nach London gebracht werden würde, während alle Übrigen auf zwei Fregatten verteilt werden sollten, die am selben Tag nach England aufbrechen würden wie das Linienschiff mit ihrem Kapitän.

Die Engländer wollten ein Geschwader aus zwei Fregatten, einer Korvette und einem dreimastigen Kauffahrer, den man für den Krieg aufgerüstet hatte, für die Rückkehr nach Europa zusammenstellen – »nach Europa« sagen wir, weil Gibraltar eher afrikanisch als europäisch ist.

Kapitän Lucas kam auf die Prince, die weder Verluste noch Schäden erlitten hatte, weil sie nicht an der Schlacht beteiligt gewesen war.

René wurde mit etwa fünfzig Gefährten auf den Dreimaster und Kauffahrer Samson gebracht. Beim Abschied hatte Lucas ihm all seine Zuneigung bezeigt, die René sich durch die Tapferkeit erworben hatte, mit der er am Tag der fatalen Schlacht gekämpft hatte.

René und Lucas nahmen Abschied voneinander wie zwei Freunde, nicht wie Vorgesetzer und Untergebener.

Die Prince, ein guter und schneller Segler, segelte die Küste entlang und umfuhr bald Kap Finistère.

Kapitän Parker, der Kommandant der Samson, der sich seines Schiffs weniger sicher war, fuhr aufs offene Meer hinaus in Befolgung der Regel, die besagt, bei Stürmen gebe es keinen gefährlicheren Aufenthalt als nahe der Küste.

Als das Meer sich ein wenig beruhigt hatte, die Sonne sich wieder blicken ließ und man die Position des Schiffs peilen konnte, stellte man fest, dass man sich dreißig bis fünfunddreißig Meilen im Westen Irlands befand; unverzüglich nahm man Kurs in östliche Richtung. Die älteren Seeleute wussten jedoch, dass die Windstille nicht anhalten würde, und Kapitän Parker, der noch nie ein Kriegsschiff befehligt hatte, wusste nicht recht, was er tun sollte.

Unterwegs hatte er gelernt, das nautische Wissen Renés zu schätzen, den man ihm ausdrücklich empfohlen hatte, und da es nichts daran auszusetzen gab, die wenigen Gefangenen an Deck frische Luft schöpfen zu lassen, trat er auf René zu, deutete auf eine Wolkenwand, die dunkel im Westen dräute, und sagte in schlechtem Französisch: »Heute werden wir wohl spät zu abend speisen, Leutnant, ich habe aber den Koch benachrichtigen lassen.« Wieder wies er auf die schwarzen Wolken, die sich zusehends zusammenballten, und fügte hinzu: »Und hier haben wir ein Schauspiel, das verdient, betrachtet zu werden.«

»Ja«, sagte René, »vorausgesetzt, dass sein Ergebnis uns nicht zu sehr zu schaffen macht.«

Das Schauspiel war in der Tat sehenswert, doch Renés Befürchtungen waren keineswegs übertrieben.

Dichte schwarze Wolken sammelten sich in südwestlicher Richtung und bildeten bald ein ununterbrochen wachsendes Gebirgsmassiv mit allen Aspekten himmlischer Alpen: Gipfel mit schroffen Berggraten und steilen Pfaden, über die man sie erklomm; der alle anderen überragende Berg dieser phantasmagorischen Anden, vergleichbar der Spitze eines Vulkans, über die der Wind mit unvorstellbarer Schnelligkeit dahinjagte, wirkte selbst wie eine letzte Rauchwolke, wie sie Kaminen entweichen, die kurz zuvor von der Feuerwehr gelöscht wurden. Es war ein Vergnügen, diese Wolken über das strahlende Blau des Himmels zu verfolgen, denn der Himmel war oberhalb des Horizonts von prachtvollem Azur, abgesehen von jener Stelle, wo er wie vom Rauch eines Vulkans umwölkt wirkte.

»Wie auch immer«, sagte der erste Leutnant überheblich, »wenn aus dieser schwarzen Hölle etwas zusammengebraut werden sollte, wird es nicht im Handumdrehen geschehen, und wir werden genug Zeit haben, in Ruhe zu speisen und unsere Mahlzeit zu verdauen.«

»Wenn ich um Verzeihung bitten darf«, warf ein alter Matrose ein, der vorbeikam, ohne dass er gewagt hätte, sich an seinen Vorgesetzten zu wenden, »wird der Wind aus Südwesten schneller sein als Ihre Zähne oder Ihr Magen, mögen sie noch so tüchtig sein.«

»Ich bin der Ansicht dieses alten Matrosen«, sagte René, »und ich glaube nicht, dass der Sturm das Entgegenkommen besitzen wird, uns in Ruhe zu Abend speisen zu lassen; wenn ich einen Rat geben darf, dann ist es der, sich gegen den Sturm zu wappnen, der über das Schiff hereinbrechen wird wie Blitz und Hagel.«

»Aber Kapitän«, sagte ein Midshipman, der auf der Verschanzung saß, den Halsschild geschlossen und den Blick auf die schwarze Masse gerichtet, die alle so sehr beschäftigte, »es herrscht Windstille, und fast keine Wellen berühren unser Schiff; warum solche Hast?«

»Mister Blackwood, wäre Ihr Onkel an Ihrer Stelle, würde er so etwas nicht fragen; lassen Sie die Vorbramsegel reffen und umgehend streichen.«

Blackwood ordnete das Manöver an, und der alte Seemann, der sich offenbar in der Rolle des Unglückspropheten gefiel, kommentierte dies mit den Worten: »Sehr gut! Aber noch lange nicht genug.«

Der Kapitän bedachte ihn mit einem Lächeln und fuhr fort: »Sobald die Vorbramsegel gestrichen sind, lassen Sie Mars- und Toppsegel dreimal reffen und das Großsegel einholen.«

Der Befehl wurde mit der Pünktlichkeit befolgt, die das Hauptverdienst des Marinedrills ist. Am Horizont sah man Wind aufkommen, und unter seinen Schwingen kräuselte sich die Wasseroberfläche; die dunkle Stelle im Südwesten breitete sich am Himmel aus wie ein riesiger Tintenfleck; die leichte Brise war heftig und bedrohlich geworden.

»Und was würdest du jetzt tun, Alter?«, fragte der Kapitän den Ratgeber.

»Mit aller Hochachtung«, sagte der alte Matrose, »ich würde das Segelwerk noch mehr verringern und fast keine Segel gesetzt lassen.«

»Focksegel und Klüver einholen!«, rief der Kapitän.

Der Befehl wurde ausgeführt.

Die Wellen schwollen gewaltig, der Donner dröhnte.

»Zu Tisch, meine Herren, zu Tisch!«, rief ein Midshipman, der in der Luke erschien, seine Serviette in der Hand.

Er hielt sie hoch und ließ sie in der Luft wehen. »Oho!«, sagte er. »Da ist aber ein ordentlicher Wind aufgekommen; unten haben wir das nicht gemerkt.«

»Ja, aber hier oben ist es nicht zu übersehen«, erwiderte der Kapitän, »und Sie werden es unten bald genug merken.«

»Wie steht es an Deck?«, fragten die anderen Offiziere den Midshipman bei seiner Rückkehr von der Erkundung an Deck.

»Ich habe schon schöneres Wetter erlebt, als im Augenblick herrscht«, antwortete dieser.

»Kommt der Kapitän nicht zum Speisen herunter?«, fragte ein anderer.

»Nein. Er bleibt an Deck mit dem jungen Gefangenen, den uns Kapitän Lucas eigens empfohlen hat und von dem es heißt, er habe Nelson erschossen.«

»Sollten wir in Gefahr geraten«, sagte der zweite Leutnant, »gelobe ich, ihn zum Dank für diese Heldentat an den Meeresgrund zu expedieren und ihn notfalls zu begleiten.«

»Mein Lieber, Sie urteilen ungerecht«, sagte einer seiner Gefährten. »Wenn er der Schütze ist, der Nelson getötet hat, dann hat er seine Pflicht als Franzose getan. Würden Sie es verdienen, ins Meer geworfen zu werden, wenn Sie Lucas erschossen hätten? Ich weiß wohl, dass alle Lucasse der Welt keinen Nelson aufwiegen können, aber Kommandant Lucas ist dennoch ein tapferer Kapitän. Haben Sie gesehen, dass seine Uniform dreimal auf der Verschanzung der Victory aufgetaucht ist? Haben Sie gesehen, wie mitten in Rauch und Feuer seine Enteraxt wie ein Regenbogen aufblitzte? Sollten Sie ihm begegnen, bei Regen oder Sonnenschein, grüßen Sie ihn ehrerbietig und machen Sie ihm Platz; das jedenfalls täte ich.«

Während in der Offiziersmesse diese Debatte stattfand, war an Deck bleierne Stille eingetreten. Der Wind hatte sich plötzlich gelegt, und in Ermangelung seiner Unterstützung rollte das Schiff nun schwerfällig durch die Wogen; das Wasser schlug trostlos gegen den Schiffsrumpf, und wenn das Schiff mühsam aus einem Wellental auftauchte, floss das Wasser vom Oberdeck in das Meer zurück und bildete dabei eine Vielzahl funkelnder kleiner Wasserfälle.

In diesem Augenblick wäre die Flamme eines Lichts auf dem Schiffsdeck senkrecht in den Himmel aufgestiegen.

»Eine scheußliche Nacht, Kapitän Parker«, sagte der erste Leutnant, dem sein Rang erlaubte, den Kapitän anzusprechen.

»Ich habe schon erlebt, dass der Wind mit weitaus weniger Vorzeichen umgeschlagen ist«, sagte der Kapitän in beruhigendem Ton.

»Aber diesmal«, brummte der alte Seebär, dem seine vierzig Jahre auf See Vorrechte einräumten, denen nicht nur seine Kameraden, sondern auch die Offiziere sich beugten, »begleiten den Umschlag Vorzeichen, die sogar den ältesten Matrosen nachdenklich stimmen müssen.«

»Meine Herren, was können Sie noch wünschen?«, fragte der Kapitän. »Kein Lufthauch regt sich, und das Schiff ist bis auf das Vorbramsegel abgetakelt.«

»Gewiss!«, sagte der alte Matrose. »Und ich gehe noch weiter und behaupte, dass die Samson sich für einen braven Kauffahrer wacker hält. Kaum ein Schiff ihrer Größenordnung, das nicht die Flagge König Georges trägt, segelt so schnell wie sie oder gar schneller; aber dieses Wetter zu dieser Stunde muss einen alten Seemann nachdenklich stimmen. Sehen Sie dort drüben den grauen Lichtschein, der sich uns so geschwind nähert, und können Sie mir sagen, woher er kommt? Kommt er aus Amerika oder vom Nordpol? Der Mond ist es jedenfalls nicht.«

Der Kapitän trat an die Luke, wo er das Gelächter der jungen Offiziere und das Klingen ihrer Gläser hörte.

»Genug getrunken und gelacht!«, rief er barsch hinunter. »Alle Mann an Deck!«

Und unverzüglich eilten die so Angesprochenen an Deck. Sobald jeder mit eigenen Augen Himmel und Meer gesehen hatte, richtete sich alles Trachten der gesamten Mannschaft nur mehr darauf, für den Sturm gerüstet zu sein, der unaufhaltsam näher kam.

Niemand sprach ein Wort, doch jeder setzte alle Kraft und Umsicht ein, als wollten sie einander überbieten. Und kein Arm war überflüssig, für jeden gab es eine Aufgabe.

Der bleiche, unheimliche Nebel, der seit einer Viertelstunde im Südwesten aufstieg, senkte sich nun so schnell über das Schiff, als wäre er ein Rennpferd, das gewinnen wollte; die Luft hatte die Feuchtigkeit verloren, die Kennzeichen einer Brise aus Osten ist, und die Reffbänder flatterten zwischen den Masten als Vorzeichen des Sturms, der sich zusammenbraute.

Dann ertönte ein lautes und schreckliches Donnern über dem Ozean, dessen Oberfläche erstarrte und sich dann mit weiß schimmerndem Schaum bedeckte. Im nächsten Augenblick brach der Wind mit aller Gewalt über die schwerfällige, reglose Masse des Schiffskörpers herein.

In diesem Sturm war das Schiff in der Situation eines Infanterieregiments, das mitten auf einer Ebene den Ansturm einer Kavallerieschwadron erwartet.

Beim Herannahen des Sturmwinds hatte der Kommandant einige Segel setzen lassen, um den Wechsel der Windrichtung zu nutzen und Gegenwind zu bekommen. Doch das Schiff war ein Kauffahrer und kein Schnellsegler, und es gehorchte weder den ungeduldigen Wünschen des Kapitäns noch den Erfordernissen des Augenblicks. Langsam und schwerfällig verließ es seinen Kurs gen Osten, so dass es genau in die missliche Lage geriet, die ungeschützte Seite dem Anprall des Sturms darzubieten. Zum Glück für alle, die ihr Leben auf diesem ungeschützten Schiff aufs Spiel setzten, sollte es nicht die ganze Gewalt der Sturmbö auf einmal erleiden. Die wenigen Segel, die wieder gesetzt worden waren, zitterten an ihren massiven Rahen, blähten sich und erschlafften eine Minute lang abwechselnd, und dann fiel der Sturm mit ungezähmter Macht über sie her.

Der Himmel war so finster, dass man sich nur tastend bewegen konnte. Die Männer sahen einander als bleiche Gespenster im flüchtigen Schein der Blitze oder im Widerschein der schaumigen Brecher, die das Auge für einen Augenblick blendeten, bevor es neuer Finsternis ausgesetzt wurde, welche nach dem kurzen, grellen Licht umso schwärzer erscheinen musste. Alles Menschenmögliche, das man tun konnte, um die entfesselte Gewalt des Sturms in ihren Auswirkungen abzumildern, war getan worden. Nun wartete man ab und zählte die Minuten.

Vom Schlingern und Schwanken des Schiffs immer wieder gegen Masten und Verschanzung geschleudert, von abgerissenen Tauen gepeitscht, die wie unsichtbare, aber schneidende Geißeln durch die Luft sausten, erschöpft vor Anstrengung und Angst und wenig Trost in einer Hoffnung auf Rettung findend, die aberwitzig erscheinen musste, wenn man sah, dass jeden Moment neue Gefahren drohten, kauerten die Matrosen der Samson an der Luvseite des Schiffs und ließen geduckt die riesigen Wellen über sich ergehen, die vom Heck oder von der Seite hereinbrachen und das Deck kurzzeitig in eine Wasserwüste verwandelten. Kein Wort fiel, und jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt: trübsinniges Schweigen, vereinzelte Flüche, vereinzelte Wehlaute, vereinzelte Verwünschungen oder Anklagen an die Adresse des Himmels.

Das Meer spielte mit dem Schiff wie ein Riese mit einem Federball, versetzte ihm Schläge von vorne, von hinten, von seitwärts, gegen Hüften, Kopf und Flanken, von allen Seiten gleichzeitig, trug es auf den Gipfel der rollenden Berge oder stürzte es in Schluchten, aus denen ein Auftauchen unmöglich erschien.

Einer der Schläge gegen Backbord traf das Schiffsheck so kraftvoll, dass er es nach rechts drehte, wobei das Focksegel, das es nach links geführt hatte, zerstört wurde. Der Wind bemächtigte sich seiner und zerriss das fest gewebte Segeltuch wie dünnen Musselinstoff.

Kein Fetzen von dem zerlöcherten, zerrissenen, zerfetzten und weggerissenen Segel war am Mast verblieben; die Ruderpinne zerbrach, und das nach Steuerbord gebeugte Schiff wurde von solchen Wassermassen überschwemmt, dass es sich nicht aufrichten konnte.

»Was tun?«, fragte der Kommandant René.

»Anluven! Sofort anluven!«, erwiderte René.

»Anluven, auf der Stelle!«, rief Kommandant Parker so laut, dass seine Stimme durch das Sturmgetöse hindurch vernehmbar war.

Der alte Seemann, der mit seinen Ratschlägen nicht gegeizt hatte, stürzte nun mit einer neuen Ruderpinne zum Steuerruder und nahm den Posten des Untersteuermanns ein. Er befolgte den Befehl des Kapitäns schnell und zuverlässig, doch vergebens hielt er den Blick auf den Klüver gerichtet, um zu sehen, ob das Schiff das Manöver ausführte. Zweimal neigten die Masten sich dem Horizont entgegen und hoben sich anmutig in die Luft, doch beide Male wurde das Schiff von Masse und Druck des Wassers überwältigt und blieb zur Seite geneigt liegen.

»Was tun?«, fragte der Kommandant René wieder.

»Kappen!«, sagte René.

»Aufgepasst!«, rief Parker, und er befahl dem zweiten Leutnant: »Holen Sie eine Axt.«

Blitzschnell gehorchte der Leutnant und kletterte den Fockmast hinauf, um eigenhändig den Befehl des Kommandanten auszuführen; dann hob er den Arm und fragte mit fester und ruhiger Stimme: »Soll ich kappen?«

»Warten Sie! Alter Nick«, rief der Kapitän dem Steuermann zu, »gehorcht das Schiff dem Steuerruder?«

»Nein, mein Kapitän.«

»Dann kappen Sie!«, sagte Parker ruhig und bestimmt.

Ein einziger Schlag genügte; unter der Last des immensen Gewichts, das auf ihm ruhte, hatte der Mast kaum den Axthieb erhalten, als sein Holz knirschend barst, er sich wie ein entwurzelter Baum unter lautem Krachen von seiner Takelage befreite und die kurze Strecke bis ins Meer überwand.

»Fragen Sie, ob das Schiff sich aufrichtet«, soufflierte René dem Kapitän.

»Richtet es sich auf?«, rief Parker dem Mann am Steuer zu.

»Mein Kommandant, es hat sich leicht bewegt, aber der neuerliche Windstoß hat es wieder hingelegt.«

Der zweite Leutnant stand bereits am Fuß des Großmasts; ihm war die Bedeutung seiner Aufgabe bewusst.

»Soll ich kappen?«, fragte er.

»Kappen Sie!«, erwiderte der Kapitän düster.

Ein kraftvoll geführter Schlag war zu hören, gefolgt von einem schrecklichen und beeindruckenden Knirschen und Splittern, woraufhin ein zweiter und ein dritter Schlag erfolgten; Mast, Tauwerk, Segelwerk, alles stürzte ins Meer, und das Schiff, das sich im selben Augenblick aufrichtete, begann schwerfällig gegen den Wind zu segeln.

»Sie richtet sich auf! Sie richtet sich auf!«, rief die Mannschaft wie aus einem Mund, als wäre allen mit einem Mal die Zunge gelöst.

»Machen Sie das Schiff frei, damit es sich ungehindert bewegen kann«, rief der Kapitän mit bewegter Stimme, »und halten Sie sich bereit, die Marssegel einzuholen und festzumachen; lassen Sie es Fahrt aufnehmen und raume See gewinnen; doch unterdessen kappen Sie! Nur Mut, Freunde, kappen Sie, alle Mann, mit Messern, Äxten, womit auch immer!«

Und im Handumdrehen gelang es den Männern, belebt mit der Kraft und dem Mut, die ihnen die wiedererstarkende Hoffnung verlieh, die Taue zu zerhauen, an denen Splitter und Sparren hingen, bis die Samson nur mehr die Schaumkronen der Wogen berührte wie ein Vogel, dessen Flügel sich dicht über dem Wasser bewegen.

Der Wind heulte und toste, dass es wie Donnergrollen klang; die Leinen des letzten Segels, das gesetzt geblieben war, als der Sturm hereinbrach, flatterten, und das Besansegel, das auf halber Höhe beigesetzt war, blähte sich so heftig im Wind, dass es aussah, als werde es im nächsten Moment den Besanmast, der als einziger Mast geblieben war, mit sich losreißen.

René legte dem Kapitän die Hand auf den Arm und deutete auf die Gefahr. Parker nickte und rief Worte, die eher wie ein Gebet klangen als wie ein Befehl: »Dieser Mast kann der Belastung nicht lange standhalten, Leute; wenn er bei dieser Fahrtgeschwindigkeit vorwärts auf das Schiff fällt, kann es um die Samson geschehen sein. Schickt einen oder zwei Männer hinauf, um das Segel von den Rahen zu trennen.«

Der zweite Leutnant, an den dieser Befehl ergangen war, trat einen Schritt zurück. »Der Mast biegt sich wie ein Weidenzweig«, sagte er, »und er ist schon der Länge nach geborsten. Es wäre der sichere Tod, sich dort hinaufzuwagen, solange der Sturm nicht nachlässt.«

»Sie haben recht«, sagte René, »geben Sie mir Ihr Messer.«

Und bevor der zweite Leutnant ihn hätte fragen können, was er bezwecke, hatte René ihm das Messer aus der Hand genommen und kletterte die Wanten empor, deren Kabelgarn im Sturmwind so angespannt war, dass es fast zu reißen drohte.

Diejenigen, die ihm mit dem Blick folgten, begriffen seine Absicht und erkannten zugleich, um wen es sich handelte.

»Der Franzose! Der Franzose!«, riefen zehn Stimmen gleichzeitig.

Und sieben oder acht alte Matrosen, die es beschämte, einen Franzosen tun zu sehen, was keiner von ihnen zu tun gewagt hatte, eilten zu den Webeleinen der Wanten, um in den glühenden Himmel zu klettern.

»Alle Mann herunter!«, rief der Kapitän in sein Sprachrohr. »Alle Mann herunter bis auf den Franzosen!«

Die Worte erreichten die Ohren seiner Matrosen, doch in ihrer Begeisterung und Beschämung stellten sie sich taub.

René war vor ihnen oben angekommen und führte die scharfe Klinge seines Messers gegen das dicke Tau, mit dem das geblähte Segel an der Besanrah festgemacht war. Als hätte es nur auf diesen Anstoß gewartet, riss das Segel sich von seinen übrigen Leinen los und schwebte vorwärts über das Schiff hinweg wie ein Banner, das sich entfaltet; dann wurde das Schiff von einer schweren Woge emporgetragen und stürzte schwerfällig unter der Last des eigenen Gewichts und des Sturms in das Wellental.

Unter dem Aufprall zerriss ein Tau der unteren Takelage des Masts, der ein fürchterliches Knirschen ertönen ließ und sich gefährlich nach vorne neigte.

»Kommen Sie herunter!«, rief der Kapitän in sein Sprachrohr. »Klettern Sie die Stagen hinunter, schnell, beeilen Sie sich! Warten Sie nicht länger, kommen Sie herunter!«

Nur René gehorchte. So schnell wie der Donner auf den Blitz folgt, ließ er sich zum Oberdeck hinuntergleiten.

Einen Augenblick lang schwankte der Mast vor und zurück, als wollte er sich in alle Richtungen des Horizonts bewegen, doch dann gab er dem Schlingern des Schiffs nach, und alles stürzte ins Meer, wo es zerschmettert wurde: Leinen, Rahen, Taue, und schüttelte die Menschentraube ab; die einen wurden an Deck zerschmettert, die anderen verschwanden in den aufgewühlten Wogen.

»Lasst eine Schaluppe zu Wasser! Lasst eine Schaluppe zu Wasser!«, rief der Kapitän.

Doch sogleich wurden alle Mastüberreste zusammmen mit denjenigen, die sich an sie klammerten, von dem dichten Nebel verschlungen, der vom Wasser bis zu den Wolken reichte.

Der Kommandant erkannte, dass es keine Aussicht gab, die Männer im Meer zu retten, und nachdem er die auf Deck gestürzten Matrosen dem Wundarzt übergeben hatte, trat er zu René, um ihm die Hand zu reichen, und fand ihn so ruhig und gelassen vor, als wäre er völlig unbeteiligt an den letzten Geschehnissen.

Während der Kapitän sich erkundigte, ob René wohlbehalten und unversehrt war, kam ein Matrose, um zu melden, dass im Schiffsrumpf das Wasser vier Fuß hoch stand. Das Schiff war von so vielen und schweren Wellen, die in der Seemannssprache Kaventsmänner heißen, überschwemmt worden, dass der Schiffsrumpf fast zur Hälfte vollgelaufen war, bevor man einen Gedanken daran verwendet hatte.

»Unter anderen Umständen«, sagte der Kommandant, »wäre das nicht weiter von Belang; aber das Pumpen ist den Matrosen nun einmal verhasst, sie können es nicht leiden, und in ihrer Erschöpfung will ich ihnen diesen ungeliebten Dienst nicht abverlangen.«

»Kommandant«, sagte René, der dem Kapitän die Hand hinstreckte, »wollen Sie mir vertrauen?«

»Ganz und gar«, erwiderte dieser.

»Wohlan! Im Zwischendeck habe ich beinahe siebzig Mann, die sich ausruhen konnten, während Ihre Mannschaft damit beschäftigt war, ihnen das Leben zu retten, auch wenn sie dabei nicht zuletzt das eigene Leben zu retten trachtete. Nun sind meine Leute an der Reihe zu arbeiten, und Ihre Leute sollen sich ausruhen. Überlassen Sie mir meine Matrosen für vier Stunden: Und nach diesen vier Stunden wird es im Schiffsrumpf keinen Tropfen Wasser mehr geben, denn meine Männer werden in dieser Zeit für Ihre Mannschaft getan haben, was Ihre Mannschaft in den vergangenen zwei Tagen für sie getan hat.«

Infolge des Gerüchts, René sei der Schütze, der Nelson getötet hatte, und durch sein Betragen während des Sturms genoss René in den Augen der englischen Matrosen kein geringes Ansehen; wer Nelson getötet hatte, der seit vierzig Jahren gegen Frankreich, gegen den Sturm und manchmal sogar gegen Gott gekämpft hatte, der musste mehr als ein gewöhnlicher Mensch sein.

Der Kapitän nutzte eine Windstille, versammelte seine Leute an Deck und sagte: »Meine Freunde, ich habe eine schlechte Nachricht zu verkünden, denn wir haben vier bis fünf Fuß Wasser im Schiff; wenn Sie das Wasser weiter steigen lassen, wird unser Schiff vor dem nächsten Morgen sinken, wenn Sie aber zu pumpen beginnen, haben wir noch eine Chance, dieser neuen Gefahr zu entrinnen, der größten Gefahr, die uns bisher begegnet ist.«

Es kam, wie Kapitän Parker vorausgesagt hatte: Über die Hälfte der Mannschaft legte sich auf Deck und sagte, sie wolle lieber ertrinken, als sich der Mühsal des Pumpens zu unterziehen. Die andere Hälfte der Mannschaft schwieg, doch es fiel dem Kapitän nicht schwer zu sehen, dass diese Männer sich am widerspenstigsten zeigen würden, wenn er seinen Vorschlag wiederholte.

»Liebe Männer«, sagte der Kapitän, »ich weiß, wie erschöpft ihr seid und wie überaus verhasst euch diese Arbeit ist. Hier ist Leutnant René, der euch zum Dank für die Rücksicht, die ihr ihm und seinen Männern während der Fahrt entgegengebracht habt, einen Vorschlag machen will.«

Der alte Untersteuermann nahm als Erster seine Mütze ab und schwenkte sie. »Leutnant René«, sagte er, »ist ein vollendeter Seemann und tapfer wie kein zweiter! Hören wir seinen Vorschlag an!«

Und mitten in dem Sturm, auf den niemand mehr zu achten schien, rief die ganze Mannschaft wie aus einer Kehle: »Hören wir an, was Leutnant René zu sagen hat, und hurra für Leutnant René!«

René salutierte, Tränen in den Augen, und zum größten Erstaunen der ganzen Mannschaft, die ihn noch nie ein Wort auf Englisch hatte sprechen hören, sagte er so akzentfrei, als käme er geradewegs aus Suffolk herbeispaziert: »Danke! Im Gefecht sind wir Gegner, nach dem Gefecht sind wir Rivalen, doch in der Gefahr sind wir Brüder.«

Diese Worte wurden mit allseitigem Beifall aufgenommen.

»Dies ist mein Vorschlag: An Bord gibt es neunundsiebzig Gefangene, die sich zwei Tage lang ausruhen konnten, während ihr für sie gearbeitet habt; selbst wenn euer Einsatz nicht völlig selbstlos war und selbst wenn ihr während des Sturms keinen Gedanken an diese Leute verschwendet habt, bitten sie euch mit meiner Stimme, nun für euch arbeiten zu dürfen.«

Die englischen Matrosen lauschten, verstanden aber noch nicht, was er sagen wollte.

»Gebt ihnen für vier Stunden die Freiheit; in dieser Zeit werden sie für euch pumpen; innerhalb von vier Stunden wird das Schiff gerettet werden, ihr werdet alle brüderlich ein Glas Gin miteinander leeren, und jeder von ihnen wird sich wieder an seinen Posten als Gefangener begeben und sich glücklich schätzen, dass beide Seiten einander dankbar in Erinnerung behalten werden. Ich bürge mit meinem Ehrenwort für meine Männer.«

Die Engländer waren sprachlos vor Verblüffung. Ein solcher Vorschlag wäre keinem von ihnen jemals in den Sinn gekommen. Der Vorschlag, den die Gefangenen machten, ihren Gegnern das Schiff zu retten, war so großherzig, dass es eine Weile dauerte, bis sie ihn erfassten.

Doch Kommandant Parker, der mit etwas Ähnlichem gerechnet hatte, umarmte René und rief: »Meine lieben Freunde, Leutnant René übernimmt die Verantwortung für seine Männer, und ich verbürge mich für ihn.«

Daraufhin brach ein Tumult auf dem Schiff aus, der mit Worten nicht wiederzugeben ist; doch unterdessen hatte der Kapitän dem ersten Leutnant leise einen Befehl erteilt, und plötzlich sah man aus einer Luke eine erste Abteilung von zwölf Gefangenen heraufsteigen, die sich wunderten, zu solcher Stunde und bei solchem Wetter an Deck geholt zu werden; doch auf diesem Deck, das der Sturm so abgeholzt hatte, wie das Deck ihrer Redoutable im Gefecht abgeholzt worden war, erblickten sie ihren Leutnant, der lächelte und ihnen die Hände entgegenstreckte.

»Meine lieben Freunde«, sagte René, »ihr seht hier die wackeren Burschen, die seit zwei Tagen dem Sturm die Stirn geboten haben; ihr musstet den Sturm nicht erleben, um zu wissen, wie heftig er getobt hat; sie sind jetzt in Sicherheit, aber todmüde. Und im Schiffsrumpf steht das Wasser fünf Fuß hoch.«

»Stellt uns an die Pumpen«, sagte der Bootsmann der Redoutable, »und in drei Stunden wird davon nichts mehr zu sehen sein.«

René wiederholte die Worte des Bootsmanns auf Englisch; Kapitän Parker hatte mittlerweile ein Fässchen Gin holen lassen.

»Nun, meine Freunde«, sagte René zu den Engländern, »seid ihr einverstanden?«

Ein einhelliger Ruf war die Antwort. »Ja, Leutnant! Ja, wir sind einverstanden!«

Und die Männer, die einander wenige Tage zuvor erbarmungslos den letzten Blutstropfen aus dem Leib geschossen hätten, fielen einander nun, von Brüderlichkeit bewegt, in die Arme.

»Sagen Sie Ihren Leuten, dass sie sich ausruhen können«, soufflierte René Kapitän Parker. »Und tun Sie es ihnen gleich; sagen Sie mir nur, wo Sie anlegen wollen, und ich kümmere mich die nächsten vier Stunden lang um alles, sogar um das Steuern des Schiffs.«

»Wir müssten uns auf der Höhe des St.-George-Kanals befinden, und Wind und Dünung führen uns zu dem Hafen von Cork; lassen Sie einen Reservemast aufstellen, setzen Sie irgendein Segel und navigieren Sie zwischen dem zehnten und dem zwölften Längengrad Cork entgegen. Ein Glas Gin, meine Freunde«, fuhr der Kapitän fort und stieß mit René an, um mit gutem Beispiel voranzugehen.

Nach vier Stunden befand sich kein Tropfen Wasser mehr im Schiffsrumpf, die Engländer waren wieder Herr über ihr Schiff, und am nächsten Tag gingen die Überreste der Samson am Ende der Bucht und zwei Kabellängen von dem Städtchen Cork entfernt vor Anker.


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