103 Die Pontinischen Sümpfe

Die Reisenden speisten schlecht, doch sie wären übel beraten gewesen, sich über die Kost in dem Gasthof Zur Geburt des Augustus zu beklagen, wenn man bedenkt, dass Augustus als Herrscher mit zwei getrockneten Fischen und einem Glas Wasser zum Abendessen vorliebnahm. Ein ganzes Buch ließe sich mit den Legenden verfassen, die über die Geburt des Augustus kursieren und die ihm, dem Sohn eines Müllers und einer Afrikanerin, die Herrschaft über das größte Weltreich weissagten.

Sagte Antonius nicht: »Dein Vorfahre war Afrikaner, deine Mutter arbeitete in der gröbsten Mühle von Aricia, und dein Vater wendete das Mehl mit einer Hand, die von dem Geld geschwärzt war, das er in Nerulum anfasste«?

Doch die Zeichen sprachen für sich.

Seine Mutter Atia war im Tempel des Apolls in ihrer Sänfte eingeschlafen, und die marmorne Schlange am Fuß der Statue, die den Gott der Heilkunde verkörperte, löste sich von dem Altar, kroch zu der Sänfte, glitt hinein, hielt Atia umschlungen und befruchtete sie, bevor sie sie verließ.

Eines Tages, als der junge Octavian zur Schule ging, ein Stück Brot in der Hand, stieß ein Adler auf ihn herab, entriss ihm das Brot und brachte es kurz darauf zurück, mit olympischem Ambrosia getränkt.

Zuletzt heiligte ein Gewitter das Haus seiner Eltern.


An jenem Abend wurde in Velletri ein Fest gefeiert, das alle Bauern und Bäuerinnen aus der Umgegend besuchten.

Man tanzte.

Schon immer war es in Italien üblich, dass die Hälfte der Bewohner singt und tanzt, während die andere Hälfte weint und wehklagt. Wenig kümmerte es die Bauern, ob die Franzosen Neapel eingenommen hatten, ob sie Gaeta belagerten oder ob man von jenseits der Pontinischen Sümpfe die Achtzigerkanonen donnern hörte, mit denen die Stadtmauern zusammengeschossen wurden.

Napoleon hatte seinem Bruder geschrieben: »Verstärken Sie die Belagerung.«

Und Joseph hatte gehorcht.

Man lächelte den Franzosen zu; die jungen Mädchen reichten ihnen die Hand und tanzten mit ihnen, und sie wendeten den Kopf nicht ab, wenn sie ihren Lippen begegneten; traf man sie aber allein an, dann erstach man sie.

Die Gäste, die bei dem Bankett am selben Tisch speisten wie die zwei Reisenden, richteten gierige Blicke auf den Sack voller Geldstücke, aus dem der Jüngere der beiden einen Louisdor holte, um die vier Francs zu zahlen, die seine Bewirtung und die seines Gefährten ausmachte, und nicht weniger gierige Blicke auf das Portefeuille, das der Begleiter des jungen Mannes aus seinem Mantel nahm und in seine Rocktasche steckte.

Der Bürgermeister von Velletri, der zwischen den Feiernden umherging, schenkte diesen Schätzen nicht weniger begierige Blicke als seine Mitbürger, doch das hinderte ihn nicht daran, den jungen Reisenden eine vierköpfige Eskorte für die Fahrt durch die Pontinischen Sümpfe anzubieten, wie es der Postmeister in Rom getan hatte.

Manhès jedoch holte seine zwei Pistolen aus seinem Felleisen und klopfte auf seinen Säbel, während sein Begleiter überprüfte, ob die zwei Läufe seines Stutzens geladen waren.

»Das ist unsere Eskorte«, sagte Manhès. »Wir Franzosen benötigen keine andere Eskorte als die unserer Waffen.«

»Es ist keinen Monat her«, sagte der Bürgermeister spöttisch, »dass ein französischer Adjutant bei uns genau wie Sie zu Abend gespeist hat; auch er führte gute Waffen mit sich, wie ich bestätigen kann, denn ich sah sie in den Händen seiner Mörder.«

»Und du hast sie nicht festnehmen lassen!«, rief Manhès und erhob sich voller Zorn.

»Mein Amt«, erwiderte der Bürgermeister, »verlangt, dass ich Reisenden eine Eskorte anbiete, und nicht, dass ich diejenigen festnehme, die sie töten, wenn sie keine Eskorte wollten; ich tue nur meine Pflicht.«

Manhès hielt es für klüger, nicht weiter zu insistieren, bedeutete seinem Begleiter, ihm zu folgen, und beide stiegen in ihren Wagen, der neue Pferde und einen neuen Postillion hatte, zahlten großzügig für ihre Verköstigung und fuhren im Galopp den Pontinischen Sümpfen entgegen.

Der doppelt schlechte Ruf, dessen sich dieser Teil des römischen Territoriums zwischen Velletri und Terracina erfreut, ist kein Geheimnis, und die faulige Luft, die man dort atmet, ist fast todbringender, als es die Banditen sind.

Erinnert sich der Leser der Barke unseres großen Malers Hébert mit dem abgezehrten Schiffer, den fiebrigen Fahrgästen, dem jungen Mädchen, das seine Fingerspitzen in das Wasser des Kanals hängen lässt, und mit den schönen grünen Pflanzen, die aus diesen mephitischen Gründen, die das menschliche Leben wie eine Fackel entzünden, vegetabilisches Leben schöpfen?

Während des Abendessens war die Nacht hereingebrochen, und als die zwei Reisenden den Gasthof verließen, färbte ein herrlicher Vollmond die Straße silbrig, bisweilen vom bebenden Laub der Bäume marmoriert. Hie und da warf ein Felsen seinen großen Schatten auf den Weg, als wollte er sich auf die Reisenden stürzen, die an seinem Fuß vorbeifuhren. Je näher sie den Pontinischen Sümpfen kamen, umso häufiger stiegen große Streifen zum Himmel auf, die keine Wolken waren, sondern Nebel, und die sich wie ein Schleier aus schwarzer Gaze über den Mond legten.

Auch der Himmel nahm eine sonderbar gelbliche und ungesunde Färbung an. Im Licht der Laternen, dessen Radius durch die dumpfe Luft immer kleiner wurde, bewegten sich in den Tümpeln unförmige Wesen, deren Größe die nächtliche Verzerrung der Optik noch grotesker machte, Tiere, die laut schnaufend den Kopf aus dem Wasser hoben: Es waren wilde Büffel, denen diese Sümpfe eine sichere Zuflucht bieten, in die sich nicht einmal die unerschrockensten Jäger wagen.

Hin und wieder schwangen sich auch große Vögel lautlos in die Luft, deren Gefieder die Farbe der Dämmerung hatte; es waren Graureiher und Rohrdommeln, die ihre unheimlichen Rufe ausstießen, während sie in die Dunkelheit entschwanden, in der sie nach dem dritten Flügelschlag unsichtbar wurden. Faust und Mephistopheles, die zum Hexensabbat gingen, hätten keinen gespensterreicheren Weg nehmen können als unsere zwei Reisenden.

»Haben Sie jemals etwas Vergleichbares erlebt?«, fragte Manhès.

»Ja, auf dem Weg von Pegu zum Land des Betels; doch was wir da vernahmen, war nicht das Brüllen von Büffeln, sondern das Knurren von Tigern und das Kreischen von Alligatoren; nicht Reiher und Rohrdommeln flogen über uns hinweg, sondern riesige Fledermäuse, die man Vampire nennt und die den Schlafenden die Adern öffnen, ohne dass diese es merken, und innerhalb von zehn Minuten einem Menschen all sein Blut aussaugen.«

»So etwas hätte ich zu gerne gesehen«, sagte Manhès.

Daraufhin schwiegen beide wieder.

Mit einem Mal ließ der Postillion sein kupfernes Horn, das er umgehängt trug, dreimal hintereinander ertönen. Da die Reisenden nicht wussten, was dieses Signal bedeutete, griffen sie zu ihren Waffen.

Doch kaum war das Signal ertönt, wurde es erwidert, und inmitten des grünen Gestrüpps der unseligen Sümpfe sah man einen Feuerschein, um den Gespenster herumsprangen. Es war eine Poststation.

Der Wagen hielt an.

Fünf, sechs schlotternde Pferdeknechte entzündeten Fackeln, ergriffen Peitschen und sprangen in das Gebüsch, während andere die Straße bewachten.

Innerhalb weniger Sekunden hatte der Postillion seine Pferde abgeschirrt.

»Bezahlen Sie mich«, sagte er zu den jungen Männern, »und ich mache mich aus dem Staub.«

Sie bezahlten ihn, er sprang auf eines seiner Pferde, und seine Pferde galoppierten davon, bis sie in der Finsternis verschwanden und das Geräusch ihrer Hufe erstarb.

Unterdessen war zwischen den wilden Pferdeknechten und ihren noch wilderen Pferden ein Kampf ausgebrochen, in dem die Menschen fluchten und die Vierbeiner wieherten, und dem Wagen näherten sich zwei unentwirrbare, formlose Knäuel aus Tieren und Menschen; die Menschen, deren wehende Haare von den Mähnen ihrer Pferde kaum zu unterscheiden waren, sahen aus wie Fabelwesen, wie dreiköpfige Kentauren. Die bezwungenen Pferde hatten zu wiehern aufgehört und stießen nur noch leise Klagelaute aus. Eines wurde als Gabelpferd vor die Deichsel gespannt, ein zweites neben ihm angeschirrt. Zwei Männer zu Pferde nahmen rechts und links vom Wagen Aufstellung, der Postillion sprang auf den ungesattelten Rücken des Pferdes neben dem Gabelpferd, und die Männer, welche die angeschirrten, laut schnaufenden und ungeduldig mit den Hufen scharrenden Pferde mit all ihrer Kraft zurückhielten, ließen auf einmal die Zügel los und sprangen zur Seite. Die wutschnaubenden Pferde rasten wiehernd los, mit dampfenden Nüstern und funkensprühenden Augen. Die zwei Reiter trieben ihre Pferde mit lauten Schreien an, um die angeschirrten Tiere in der Mitte der Straße zu halten und zu verhindern, dass sie in einen der Kanäle stürzten, welche die Straße säumen, und Reiter, Pferde, Wagen und Reisende brausten dahin wie ein Wirbelsturm.

An den nächsten drei Stationen bot sich jedes Mal das gleiche Schauspiel, das wir soeben zu schildern versucht haben; der einzige Unterschied war, dass die Pferde immer wilder und die Männer immer bleicher und zerlumpter waren, je weiter man gelangte.

An der letzten Poststation nahmen die beiden Reisenden zwei Fackeln mit, denn die Laternen ihres Wagens waren erloschen, und weder Postillion noch Pferdeknechte hatten eine Kerze, mit der man sie hätte anzünden können.

Wieder ging es in rasendem Tempo los; bis nach Terracina waren es nur mehr zweieinhalb Meilen.

An einer Stelle, wo der bis dahin ebene Boden zwischen Felsen hügelig zu werden begann, war es den Reisenden, als sähen sie auf einmal Schatten den Graben überqueren und auf die Straße springen.

»Faccia in terra!«, rief eine Stimme.

Und da beide Reisende sich aufrichteten, ertönte ein Schuss, und eine Kugel fuhr zwischen ihnen hindurch und schlug in die Rückseite des Kabrioletts ein; doch ohne sich die Mühe zu machen, den Stutzen anzulegen, schoss der Reisende, der seinen Namen nicht offenbart hatte, wie mit einer Pistole aus der Hüfte.

Ein Schrei durchdrang die Luft, und man hörte, wie ein Körper aufschlug.

Gleichzeitig warfen die zwei Reisenden ihre Fackeln zehn Schritt vor den Wagen, so dass die Straße beleuchtet wurde und man vier oder fünf Männer erblickte, deren einer sich bereits der Zügel der Kutschpferde bemächtigt hatte, während die anderen noch unschlüssig dastanden.

»Lass die Zügel los, du Wicht!«, rief Manhès. Und mit einem Pistolenschuss schickte er den Räuber zu seinem Kameraden in den Straßenstaub.

Drei Schüsse fielen gleichzeitig, eine Kugel riss den Kalpak seiner Husarenmütze ab, eine zweite streifte die Schulter seines Reisegefährten; doch der zweite Schuss des Stutzens warf einen dritten Briganten zu Boden.

Daraufhin suchten die überlebenden Räuber ihr Heil in der Flucht, doch die beiden Reisenden sprangen links und rechts aus dem Wagen, jeder mit einer Pistole in der Hand.

Das Pech der Banditen wollte es, dass der Tag zu dämmern begann und die zwei jungen Männer es als Läufer mit Atalante hätten aufnehmen können.

Manhès schickte den zweiten Schuss seiner Pistole dem Räuber hinterher, dem er nachsetzte, und dieser wankte, wollte einen Dolch aus dem Gürtel ziehen, doch bevor er das Messer aus der Scheide gezogen hatte, hielt der Offizier ihm die Spitze seines Säbels auf die Brust.

Der andere Räuber zog eine Pistole aus dem Gürtel, drehte sich um und feuerte, doch der Schuss verfehlte den Verfolger. Und im nächsten Augenblick spürte er eine eiserne Faust um seine Kehle, während die kalte Mündung einer Pistole seine Schläfe berührte.

»Ich könnte dich jetzt töten«, sagte der Reisende, »aber es beliebt mir, dich lebendig zu fangen und wie einen Bären am Nasenring denen vorzuführen, die noch immer glauben, ihr Banditen wärt mutig und verwegen. Auf, Freund Manhès, kitzeln Sie mit Ihrer Säbelspitze unsere Freunde, die den Boden küssen, damit sie uns helfen, diesen Spitzbuben die Hände zu fesseln.«

In der Tat hatten der Postillion und die zwei Reiter die Aufforderung der Briganten wortwörtlich ausgeführt und sich auf der Straße auf den Bauch gelegt; doch kaum spürten sie die Spitze des Säbels unseres Husarenoffiziers, sprangen sie wie von der Tarantel gestochen auf und riefen: »Was wünschen die signori

»Stricke«, erwiderte Manhès, »und fesselt mir diese zwei Spaßvögel ordentlich.«

Die Männer gehorchten; die beiden Banditen wurden in den Wagen gesetzt, und die Pistolen und der Stutzen, welche die Reisenden hingeworfen hatten, wurden aufgesammelt und neu geladen, denn man rechnete jederzeit mit einem weiteren Überfall.

Die zwei Reisenden gingen zu Fuß links und rechts neben dem Wagen; die drei Toten ließ man auf der Straße liegen.

»Ha, meiner Treu, lieber Kamerad«, sagte Manhès, schöpfte mit der Hand etwas Wasser und nahm seinem Reisegefährten die Mütze ab. »Sie baten mich, Ihr Pate zu sein, und ich glaube, jetzt ist der Moment gekommen, die Taufe vorzunehmen. Im Namen Bayards, Assas’ und der Tour d’Auvergne taufe ich Sie auf den Namen Leo, denn niemandem stünde dieser Name besser an als Ihnen! Graf Leo, umarmen Sie Ihren Taufpaten!«

Graf Leo umarmte seinen Taufpaten lachend, und beide wanderten weiter nach Terracina als Eskorte ihrer gefesselten Gefangenen, gefolgt von ihrer Eskorte zu Pferde, die vor Angst noch bleicher, zitternder und abgezehrter aussah als zuvor.


Загрузка...