81 Die Rückkehr (2)


Mit einem Mal stieß einer der Neger einen Schrei aus und verschwand im Wasser; offensichtlich hatte ein Kaiman sich hinterrücks angeschlichen und den Bedauernswerten an einem Bein in die Tiefe gezogen.

Die anderen schwammen eilig zum Ufer, als sie diesen Schrei des Entsetzens und der Todesangst vernahmen; in knappem Abstand zum letzten Schwimmenden wurde das Wasser von einem grauenerregenden Saurier aufgepeitscht, doch der Schwimmer verdoppelte angesichts der Gefahr seine Schnelligkeit und erreichte das Ufer unversehrt.

Kaum hatte er sich dort aufgerichtet, sah man den Kopf des Kaimans aus dem Wasser auftauchen, und die Echse krallte sich mit beiden Vorderpfoten in den Erdboden; der Neger, der zehn Schritt Vorsprung hatte, rannte aus Leibeskräften auf René zu.

»Ja, was ist denn los?«, rief René lachend.

»Kaiman will machen lecker Essen aus mir«, erwiderte der Neger.

Unterdessen war der Kaiman an Land gekrochen und schickte sich an, den Neger zu verfolgen, in ebenjener Absicht, die der Fliehende ihm unterstellte.

»Oho!«, sagte René. »Greifen Kaimane Menschen auch außerhalb des Wassers an?«

»So aussieht, Massa, vor allem, wenn schon gefressen Menschenfleisch; jetzt er kommt! Jetzt ihn jagen!«

»Aber du hast doch gar keine Waffen«, sagte René.

»Nix Waffen nötig«, sagte der Neger, und dann, an seine Gefährten gewendet: »Ich nix nötig Waffen; kommt ihr anderen, hier Baum, ist alles, was ich brauche.«

Der Kaiman hatte nicht etwa den Rückzug angetreten, sondern innegehalten, als er sah, dass der Neger bei drei oder vier Tieren seiner Spezies Hilfe fand, und nun überlegte er offenbar, ob er sich weiter vorwagen solle.

Der Neger kam so nahe an dem Kaiman vorbei, dass dieser in dem Glauben, seine Beute wolle ihm die Arbeit abnehmen, sein riesiges Maul aufriss, aber die Kinnladen schlossen sich laut krachend, als schlügen zwei Bretter aufeinander: Er hatte nichts als Luft erwischt.

Der Kaiman machte sich an die Verfolgung des Negers, die er mit gewaltigen Sprüngen abkürzte.

Doch der Afrikaner hatte bereits den Baum erreicht, den er seinen Kameraden als Schauplatz für den letzten Akt des Scherzes bezeichnet hatte, den er sich mit dem Kaiman erlaubte.

Es war höchste Zeit: Der Kaiman war keine zehn Schritt mehr hinter ihm. Der Neger nahm Anlauf und erkletterte den Baum mit der Gewandtheit eines Affen, der eine Stange erklimmt.

René wähnte den Neger außer Gefahr, als er sah, dass der Kaiman sich wie eine Rieseneidechse an dem Baumstamm aufrichtete und nach dem Neger schnappen wollte.

Der Neger rettete sich auf einen der waagerechten Äste des Baums. Der Kaiman, dessen Appetit durch die Verfolgung und die Erschwernisse der Jagd gewaltig geschärft war, wagte sich ebenfalls auf den Ast vor.

Nun schien das Schicksal des Negers besiegelt zu sein, und alle Zuschauer begannen um sein Leben zu bangen, doch schon hielt er sich am Ende des Asts fest und sprang gewandt zu Boden.

Sogleich liefen seine Freunde herbei, um ihm zu helfen; sie ergriffen den Ast und schüttelten ihn mit so kräftigen und abrupten Bewegungen, dass dem Kaiman trotz seiner niedrigen Stirn zu dämmern begann, dass er in der Falle saß.

Und indem er verriet, wie unwohl ihm zumute war, gab er zu verstehen, dass er begriff, dass er nicht dafür geschaffen war, auf Bäume zu klettern; er legte sich flach auf den Ast, krallte sich mit allen vier Pfoten daran fest und versuchte, trotz der Stöße, die ihn erschütterten, sein Gleichgewicht zu wahren; zuletzt jedoch drehte er sich um den Ast wie ein lockerer Sattel um den Bauch des Pferdes und fiel zu Boden.

Da er reglos liegen blieb, stürzten die Neger sich auf ihn: Er war auf den Kopf geprallt und hatte sich dabei die Halswirbel gebrochen.

Eine Stunde später saßen die Männer der Eskorte um ein großes Feuer und aßen Kaimanfleisch, anstatt dass der Kaiman Menschenfleisch fraß.

Die Nacht brach schnell herein. René befahl seinen Männern, Holz zu sammeln oder zu schlagen, damit ein großes Feuer entzündet werden konnte, das Reptilien, wilde Tiere und Kaimane fernhielt.

Diese Vorsichtsmaßnahme war umso vernünftiger, als der Geruch des Abendessens alle Freunde rohen oder gebratenen Fleisches unwiderstehlich anlocken musste.

Innerhalb von zehn Minuten war genug Holz für die ganze Nacht gesammelt. René ließ aus diesem Holz eine Art Verschanzung errichten, die leicht zu entflammen war, wenn das Feuer an irgendeiner Stelle erlosch.

Dann wurde der Betel verteilt, um für gute Laune zu sorgen, und danach forderte René seine Leute auf, in Ruhe zu schlafen, da er und François über sie und an ihrer Stelle wachen würden.

Das Feuer war entzündet, und die Nacht schritt voran, begleitet von ihrem unheimlichen Konzert aus Tigergebrüll, Panthergemaunze und Kaimangeschrei, das wie Kindergeschrei klingt; alles ringsum schien eine Stimme zu finden, um die Menschen zu bedrohen: Wald, Wasser und Dschungel schienen das Schlachtfeld eines Heers von Dämonen zu werden, die voller Ingrimm übereinander herfielen, um sich untereinander zu zerfleischen; die Luft wurde zuallerletzt bevölkert, doch gegen elf Uhr flatterten eulengroße Fledermäuse über die Flammen und mischten ihre schrillen Schreie in die abscheuliche Symphonie, von Rauchschwaden begleitet, als entstiegen sie dem Höllenschlund.

Es hätte eines Herzens bedurft, das mit dem dreifachen Erz umgürtet war, von dem Horaz spricht, um nicht beim Ertönen dieses zügellosen Lärms zu erzittern. François, so wacker er war, spürte, wie ihn aller Mut verließ; er stützte sich mit einer Hand auf Renés Arm und deutete mit der anderen auf zwei Lichter, die sich in einer Entfernung von dreißig Schritten im Wald bewegten.

»Still«, sagte René, »ich sehe sie.«

Und er legte sein Gewehr so unbeschwert an, als zielte er auf eine Zielscheibe, und schoss.

Ein furchterregendes Gebrüll war die Antwort auf Renés Schuss; und als wäre dieses Gebrüll ein Signal, wurde es von allen Seiten erwidert, die das kleine Lager am See einschlossen.

»Wirf mehr Holz ins Feuer«, sagte René.

François gehorchte.

Die Birmanen und Inder waren aufgesprungen, die einen auf ein Knie, die anderen aufrecht auf beide Füße.

»Wer von euch ist bereit, einen Baum zu besteigen und alle Äste abzuhacken?«, fragte René auf Birmanisch.

Eine Birmane trat vor, bat François um seinen Entersäbel und erkletterte mit affengleicher Gewandtheit den Baum, der dem Lager am nächsten stand. Sogleich fielen die Äste und Zweige so geschwind, dass außer Frage stand, wie eilig es dem Holzhacker damit war, seiner Aufgabe nachzukommen. Glücklicherweise war es ein Baum mit harzhaltigem Holz, und kaum waren die ersten Zweige ins Feuer gelangt, loderten die Flammen auf und bildeten einen wahren Schutzwall, der das Lager vom Wald abschirmte.

Doch dort, wohin René seinen Schuss abgefeuert hatte, erklang weiterhin Gebrüll: sei es, dass der verwundete Tiger sich nicht dareinschicken wollte zu sterben, sei es, dass das Tier nach der Gewohnheit seiner Art als Männchen sein Weibchen oder als Weibchen sein Männchen bei sich hatte. René lud das Gewehr nach und ließ François die vier weiteren Gewehre in Bereitschaft halten, die sein Arsenal bildeten. Dann ergriff er glühende Zweige und warf sie in das Geäst eines harzhaltigen Baums, ähnlich dem, der das Feuer so prächtig genährt hatte. Der Baum fing Feuer. Innerhalb weniger Sekunden brannte er lichterloh vom Fuß bis zum Wipfel und beleuchtete die ganze Umgebung auf fünfzig Schritt im Umkreis wie ein Feuerwerk.

Man sah, wie am Seeufer zwei Kaimane herbeikrochen, die sich unbemerkt anzuschleichen versuchten.

René ging auf die Riesenechsen zu, die vor dem Feuer unschlüssig zurückscheuten. Ihre großen dummen Augen blickten erstaunt drein; unter der allzu starken Hitze zogen ihre Körper sich zusammen. Die Augen waren so groß wie Fünf-Francs-Stücke, und mehr benötigte René nicht. Er schickte eine Kugel in das nächste Auge, keine zehn Schritt von ihm entfernt; sein Besitzer bäumte sich heftig auf und fiel dann auf den Rücken.

Der Neger, der tagsüber den Kaiman gejagt hatte, nahm einen Zweig in die Hand, dessen Ende brannte, und stieß ihn dem Untier wie einen Spieß in den Rachen. Unter entsetzlichem Gebrüll löschte das Ungeheuer die Feuersbrunst, indem es sich in den See stürzte.

Sein Begleiter trat erschrocken den Rückzug an, als er sah, was seinem Gefährten widerfahren war, und suchte Zuflucht im Wasser.

Der Baum brannte noch immer; brennende Zweige fielen herab und setzten das trockene Gras und kleinere Bäume in Brand. Schnell wuchs das Flammenmeer und bildete eine weite Umfriedung; der Wind, der vom See her blies, trieb die Flammen vor sich her. Je weiter sich das Feuer voranfraß, desto lauter wurde das Geschrei der Tiere, die es überraschte.

Inmitten dieses Geschreis war das Zischen und Rascheln der Schlangen zu vernehmen, die auf der Flucht mit ihrer Schuppenhaut an den Baumstämmen entlangglitten.

»Wohlan«, sagte René, »liebe Freunde, ich denke, wir können jetzt ruhig schlafen.«

Und er legte sich mitten in dem Flammenkreis zur Ruhe und schlief nach fünf Minuten so tief und fest, als befände er sich in der Kabine seiner Slup.


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