25 Der Herzog von Enghien (1)


Der Herzog von Enghien wohnte wie gesagt in dem Schlösschen von Ettenheim im Großherzogtum Baden am rechten Rheinufer, zwanzig Kilometer von Straßburg entfernt. Er war der Enkel des Prinzen von Condé, der wiederum Sohn ebenjenes Prinzen von Condé war, genannt »der Einäugige«, der Frankreich unter der Regentschaft des Herzogs von Orléans so teuer zu stehen gekommen war. Ein einziger Condé, der jung starb, trennt diesen Condé von dem sogenannten großen Condé, der seinen Beinamen seinem Sieg bei Rocroi verdankt, der den Tod Ludwigs XIII. erhellt, der Einnahme von Thionville und der Schlacht von Nördlingen, und der hinsichtlich seines Geizes, seiner verderbten Sitten und seiner kaltblütigen Grausamkeiten der wahre Sohn seines Vaters Heinrich II. von Bourbon war. Seine Gier nach dem Thron stachelte ihn dazu an, als Erster zu enthüllen, dass die zwei Söhne Annas von Österreich, Ludwig XIV. und der Herzog von Orléans, nicht von Ludwig XIII. gezeugt seien, was alles in allem durchaus wahr sein konnte.

Heinrich II. von Bourbon, dessen Name soeben fiel, ist derjenige, mit dessen Eintritt in die Geschichte das berühmte Haus Condé einen Charakterwandel durchmacht, vom Verschwender zum Geizhals wird und melancholisch statt fröhlich.

Denn obwohl die Geschichte ihn zum Sohn Heinrichs I. von Bourbon und Prinzen von Condé erklärt, erkennt die Chronik jener Zeit diese Herkunft nicht an, sondern schreibt ihm einen anderen Vater zu. Seine Frau Charlotte de la Trémouille lebte in ehebrecherischem Verhältnis mit einem gascognischen Pagen, als nach viermonatiger Abwesenheit ihr Ehemann unerwartet und unangemeldet zurückkam. Schnell hatte die Herzogin ihren Entschluss gefasst. Die Ehebrecherin ist bereits auf halbem Weg zur Mörderin: Sie bereitete ihrem Ehemann einen königlichen Empfang. Obwohl es Winter war, besorgte sie sich prachtvolle Früchte und teilte mit ihm die schönste Birne aus dem Korb, doch sie zerteilte sie mit einem Messer, dessen Schneide auf der einen Seite vergiftet war, und reichte ihm, wie man sich denken kann, die vergiftete Hälfte.

Der Prinz starb noch in derselben Nacht.

Charles de Bourbon, der sich in dem Glauben wähnte, Heinrich IV. davon zu unterrichten, sagte zu ihm: »Das ist die Folge der Exkommunikation durch den Papst Sixtus V.«

Heinrich IV., der sich kein Bonmot verkneifen konnte, erwiderte: »Ja, die Exkommunikation hat sicherlich nicht geschadet, aber es wurde nachgeholfen

Eine Untersuchung wurde durchgeführt, und die belastendsten Anschuldigungen wurden gegen Charlotte de la Trémouille gesammelt, bis Heinrich IV. sich die Prozessunterlagen geben ließ und sie allesamt ins Feuer warf; als man ihn nach dem Grund für dieses befremdliche Vorgehen fragte, sagte er: »Lieber soll ein Bastard den Namen Condé erben, als dass ein so großer Name ausgelöscht wird.«

Und ein Bastard erbte den Namen Condé und führte in die von ihm begründete parasitäre Linie verschiedene Laster ein, die es in der ursprünglichen Linie nicht gegeben hatte, darunter als eines der harmloseren die Liebe zur Revolte.

Als Romancier befindet man sich in einer schwierigen Situation: Übergeht man Einzelheiten wie diese, kann der Vorwurf erhoben werden, wir verstünden von der Geschichte nicht mehr als manche Historiker; enthüllen wir sie aber, beschuldigt man uns, die königlichen Häuser in Verruf bringen zu wollen.

Doch beeilen wir uns zu sagen, dass der junge Prinz Louis-Antoine-Henri de Bourbon keines der Laster Heinrichs II. von Bourbon besaß, den nur eine dreijährige Kerkerhaft seiner Frau annähern konnte, obwohl diese das schönste Geschöpf ihrer Zeit war, keines der Laster des großen Condé, dessen Liebschaft mit seiner Schwester Madame de Longueville Paris während der Fronde erheiterte, und keines der Laster des Louis de Condé, der als Regent die Gelder Frankreichs in seine Taschen und die der Madame de Prie umleitete.

Stattdessen war er ein schöner junger Mann von dreiunddreißig Jahren, der mit seinem Vater und dem Grafen von Artois emigriert war, der 1792 in das Korps der Emigranten am Rheinufer eingetreten war, der zweifellos acht Jahre lang gegen Frankreich gekämpft hatte, aber aus Voreingenommenheit, für die seine fürstliche Erziehung und seine königlichen Vorurteile verantwortlich waren. Als die Armee Condés aufgelöst wurde, anders gesagt nach dem Frieden von Lunéville, hätte der Herzog von Enghien nach England gehen können wie sein Vater, sein Großvater, die anderen Fürsten und das Gros der Emigranten, doch eine seinerzeit geheime und erst im Nachhinein bekannt gewordene Herzensangelegenheit hatte ihn dazu bewegt, sich in Ettenheim niederzulassen.

Dort lebte er wie ein beliebiger Bürger, denn sein gewaltiges Vermögen aus den Geschenken Heinrichs IV., den Besitztümern des enthaupteten Herzogs von Montmorency und den Früchten der Raubzüge Ludwigs des Einäugigen hatte die Revolution beschlagnahmt. Die Emigranten aus der Gegend von Offenburg besuchten ihn ehrerbietig. Bisweilen veranstalteten die jungen Leute im Schwarzwald große Jagdgesellschaften, bisweilen verschwand der Prinz sechs bis acht Tage lang und war plötzlich wieder da, ohne dass jemand gewusst hätte, wo er gewesen war, und dieses Verschwinden gab Anlass zu den unterschiedlichsten Vermutungen – Vermutungen, die der Prinz keineswegs entkräftete, ohne sich jemals eine Erklärung entlocken zu lassen, mochten die Mutmaßungen noch so verwegen sein.

Eines Vormittags kam ein Mann in Ettenheim an, der sich beim Prinzen anmelden lassen wollte. Er hatte den Rhein bei Kehl überquert und war über Offenburg gekommen.

Der Prinz war seit drei Tagen abwesend. Der Mann wartete.

Am fünften Tag kam der Prinz zurück. Der Fremde nannte seinen Namen und die Namen derer, in deren Auftrag er kam; obwohl der Besucher keineswegs darauf bestand, den Prinzen zu sehen, sondern nachdrücklich darum bat, dass der Prinz nach eigenem Gutdünken verfahre, ließ dieser es sich angelegen sein, ihn auf der Stelle zu empfangen.

Der Fremde war kein anderer als Sol de Grisolles.

»Schickt Sie der wackere Cadoudal?«, fragte der Prinz. »In einer englischen Zeitung las ich, dass er London verlassen haben soll, um in Frankreich eine Ehrenkränkung zu rächen, und danach nach London zurückgekehrt sei.«

Cadoudals Adjutant berichtete alles, wie es sich ereignet hatte, ohne Ausschmückungen und ohne Auslassungen, dann erläuterte er dem Prinzen seinen Auftrag, der darin bestanden hatte, dem Ersten Konsul die Vendetta zu erklären und Laurent in Cadoudals Namen aufzufordern, die Compagnons de Jéhu wieder zusammenzurufen, die Cadoudal zerstreut hatte.

»Haben Sie mir vielleicht noch etwas zu sagen?«, fragte der Prinz.

»So ist es, mein Prinz«, sagte der Bote. »Ich habe Ihnen zu sagen, dass ungeachtet des Friedens von Lunéville ein Krieg von ungeahnter Heftigkeit gegen den Ersten Konsul geführt werden wird; Pichegru, der sich mit Majestät Ihrem Vater zuletzt verständigen konnte, beteiligt sich an diesem Krieg mit allem Hass auf die französische Regierung, den ihm sein Exil in Sinnamary eingeflößt hat. Moreau, erzürnt über die laue Aufnahme seines Sieges bei Hohenlinden und erbittert darüber, dass die Rheinarmee und ihre Generäle nicht annähernd gewürdigt werden wie die Heere und Befehlshaber in Italien, wartet nur darauf, seine immense Beliebtheit in den Dienst einer Bewegung zu stellen. Und mehr noch: Es gibt etwas, wovon so gut wie niemand weiß und was ich Ihnen enthüllen soll, Prinz.«

»Und was ist das?«

»In der Armee bildet sich gerade eine Geheimgesellschaft.«

»Die Gesellschaft der Philadelphes.«

»Sie wissen davon?«

»Ich habe davon gehört.«

»Wissen Ihre Majestät, wer der Anführer ist?«

»Oberst Oudet.«

»Haben Sie ihn kennengelernt?«

»Einmal in Straßburg, ohne dass er wusste, wer ich bin.«

»Welchen Eindruck hat er auf Ihre Majestät gemacht?«

»Er machte mir den Eindruck, ziemlich jung und ziemlich leichtfertig zu sein, wenn man bedenkt, welches gewaltige Unternehmen er sich erträumt hat.«

»Mögen Ihre Majestät sich nicht täuschen«, sagte Sol des Grisolles. »Oudet ist ein Sohn der Berge aus dem Jura, mit allen seelischen und körperlichen Vorzügen des Bergbewohners.«

»Er ist keine fünfundzwanzig Jahre alt.«

»Bonaparte hat den Italienfeldzug mit sechsundzwanzig geführt.«

»Er war zuerst einer der Unseren.«

»Ja, und in der Vendée haben wir ihn erlebt.«

»Er ist zu den Republikanern übergewechselt.«

»Anders gesagt, er war es leid, gegen Franzosen zu kämpfen.«

Der Prinz stieß einen Seufzer aus. »Ach!«, sagte er. »Auch ich bin es leid, so leid!«

»Nie zuvor, sofern Ihre Majestät einem Menschen Glauben schenken wollen, der nicht zu Schmeicheleien neigt, nie zuvor sah man so widerstrebende und zugleich naturgegebene Fähigkeiten in einem Menschen vereint. Er besitzt die Leichtgläubigkeit eines Kindes und den Mut eines Löwen, die Hingabe eines jungen Mädchens und die Unerschütterlichkeit eines alten Römers. Er ist tatkräftig und unbekümmert, faul und unermüdlich, launisch und starrsinnig, sanftmütig und streng, zartfühlend und schrecklich im Zorn. Ich kann zu seiner Ehre nur eines hinzufügen, mein Prinz: Männer wie Moreau und Malet haben sich ihm als ihrem Anführer unterworfen und sind bereit, ihm zu gehorchen.«

»Die drei Anführer der Gesellschaft sind also?«

»Oudet, Malet und Moreau, genannt Philopoemen, Marius und Fabius. Pichegru wird sich unter dem Namen Themistokles als Vierter hinzugesellen.«

»In dieser Verbindung scheinen sich mir ausgesprochen unvereinbare Elemente zu befinden«, sagte der Prinz.

»Aber wirkmächtige. Entledigen wir uns zuerst Bonapartes, und wenn sein Platz frei ist, können wir uns überlegen, welchen Mann oder welche Idee wir an seine Stelle setzen wollen.«

»Und wie wollen Sie sich Bonapartes entledigen? Doch nicht etwa durch einen Meuchelmord?«

»Nein, im offenen Kampf.«

»Sie glauben, Bonaparte würde sich auf einen Kampf der Dreißig einlassen?«, sagte der Prinz lächelnd.

»Nein, mein Prinz; wir werden ihn dazu zwingen. Dreimal wöchentlich begibt er sich auf seinen Landsitz La Malmaison, begleitet von einer vierzig- oder fünfzigköpfigen Eskorte. Cadoudal wird ihn mit der gleichen Menge Männer angreifen, und Gott wird den Gerechten siegen lassen.«

»Das wäre in der Tat kein feiger Mord«, sagte der Prinz nachdenklich, »das wäre ein Kampf.«

»Doch um dieses Vorhaben durchzusetzen, Hoheit, benötigen wir das Mitwirken eines französischen Prinzen, tapfer und angesehen, wie Eure Hoheit es sind. Die Herzöge von Berry und von Angoulême und Ihr Vater, der Herzog von Artois, haben uns so oft Versprechungen gemacht und uns so oft im Stich gelassen, dass wir nicht mehr auf sie rechnen wollen. Ich bin gekommen, Eure Hoheit, um Ihnen im Namen von uns allen zu sagen, dass wir nichts weiter erwarten als Ihre Anwesenheit in Paris, damit nach Bonapartes Tod das Volk sich eine Rückkehr zur Monarchie unter dem Prinzen aus dem Hause Bourbon wünscht, der sich als Prätendent unmittelbar des Throns bemächtigen kann.«

Der Prinz ergriff die Hand des Besuchers.

»Monsieur«, sagte er, »ich danke Ihnen von Herzen für das Ansehen, das ich bei Ihnen und Ihren Freunden genieße; ich will Ihnen persönlich beweisen, dass Sie keinen Unwürdigen gewählt haben, und Ihnen ein Geheimnis enthüllen, von dem niemand weiß, nicht einmal mein Vater. Den wackeren Kämpfern Cadoudal, Oudet, Moreau, Pichegru und Malet erwidere ich: Seit neun Jahren stehe ich im Feld, seit neun Jahren setze ich täglich mein Leben aufs Spiel, was mir nichts bedeutet, doch mich erfüllt größter Abscheu für die Mächte, die sich als unsere Verbündeten ausgeben und uns nur als Werkzeuge betrachten. Diese Mächte haben Frieden geschlossen und uns in ihrem Friedensvertrag vergessen. Sei’s drum. Ich werde mich nicht allein eines vatermörderischen Krieges schuldig machen, vergleichbar dem Krieg, in dem mein Vorfahre, der große Condé, seinen Ruhm im Blut erstickt hat. Sie können einwenden, dass er Krieg gegen seinen König führte und dass ich Krieg gegen Frankreich führe. In der Sicht der neuen Prinzipien, die ich bekämpfe und zu denen ich persönlich keine Meinung habe, wäre die Entschuldigung meines Vorfahren vielleicht die, dass er nur gegen seinen König Krieg führte. Ich habe Krieg gegen Frankreich geführt, doch nur stellvertretend: Ich habe den Krieg weder erklärt noch für beendet erklärt, ich lasse Mächte walten, auf die ich keinen Einfluss habe. Ich habe zum Fatum gesagt: Du hast mich gerufen, hier bin ich, doch nun, da der Frieden geschlossen wurde, will ich nichts daran ändern. Das sind meine Worte an die Adresse unserer Freunde. Doch daneben«, sagte er, »habe ich Ihnen persönlich etwas zu sagen, Monsieur. Und Sie müssen mir schwören, dass das Geheimnis, das ich Ihnen anvertrauen werde, in Ihrer Brust verschlossen bleiben wird.«

»Ich schwöre es, Eure Hoheit.«

»Verzeihen Sie meine Schwäche, Monsieur, aber ich liebe.«

Der Bote machte eine Geste.

»Schwäche, gewiss«, wiederholte der Herzog, »zugleich jedoch Seligkeit, eine Schwäche, um derentwillen ich drei- bis viermal im Monat meinen Kopf aufs Spiel setze, wenn ich den Rhein überquere, um eine bezaubernde Frau zu besuchen, die ich vergöttere. Es geht das Gerücht, ein Zerwürfnis mit meinen Cousins oder gar mit meinem Vater hielte mich in Deutschland: O nein, Monsieur, was mich in Deutschland hält, ist eine glühende, erhabene, unbezwingbare Liebe, die stärker ist als mein Pflichtgefühl. Man fragt sich, wohin ich gehe, man wundert sich, wo ich sein mag, man hält mich für einen Verschwörer. Ach und Weh! Ich liebe, das ist alles.«

Ja, eine Himmelsmacht ist die Liebe gewiss, wenn sie sogar einen Bourbonen von seiner Pflicht abhält, dachte sich Sol de Grisolles mit leisem Lächeln, laut aber sagte er: »Lieben Sie, Prinz, lieben Sie und genießen Sie Ihr Glück! Denn das ist unser wahres Geschick, glauben Sie mir.« Dann erhob er sich, um sich von dem Prinzen zu verabschieden.

»Oh«, sagte der Herzog, »so einfach entkommen Sie mir nicht.«

»Was darf ich für Eure Hoheit tun?«

»Sie dürfen mir noch länger zuhören, Monsieur. Noch nie habe ich jemandem von meiner Liebe erzählt, aber ich ersticke schier daran. Ihnen habe ich mein Herz geöffnet, doch das war nicht genug, ich muss Ihnen noch lang und breit davon erzählen; Sie kennen jetzt die glückliche, freudige Seite meines Lebens; Ich muss Ihnen erzählen, wie schön, wie intelligent, wie ergeben sie ist. Speisen Sie mit mir zu Abend, Monsieur; nach dem Diner werden Sie mich verlassen, doch vorher werde ich zwei Stunden lang Gelegenheit gehabt haben, Ihnen von ihr zu berichten. Ich liebe sie seit drei Jahren, bedenken Sie das, und noch nie konnte ich einem Menschen von ihr erzählen.«

Grisolles blieb zum Abendessen.

Zwei Stunden lang sprach der Herzog von nichts anderem als von ihr. Er schilderte seine Liebe bis in die kleinsten Einzelheiten, lachte, weinte, drückte die Hände seines neuen Freundes und umarmte ihn zum Abschied.

Sonderbare Wirkung der Sympathie!

Von einem Tag auf den anderen hatte ein Fremder das Herz des jungen Prinzen gründlicher erobert als mancher seiner Freunde, der nie von seiner Seite gewichen war.

Am Abend desselben Tages reiste Cadoudals Bote nach England ab, und der Polizeispitzel, der Fouché über alles Bericht zu erstatten hatte, schrieb diesem:


Abgereist eine Stunde nach dem Bürger S. de G.

Ihm ununterbrochen gefolgt; hinter ihm über die Brücke bei Kehl gefahren; mit ihm in Offenburg gespeist, ohne dass er Verdacht schöpfte.

In Offenburg übernachtet. Um acht Uhr morgens mit der Post weitergereist auf eine halbe Stunde Entfernung. Im Hotel La Croix abgestiegen, Citoyen S. de G. im Hotel Rhin et Moselle.

Da man sich über mich Gedanken machen konnte, sagte ich, mich habe ein Schreiben des letzten Fürstbischofs von Straßburg hergelockt, Monsieur de Rohan-Guéménée, berühmt für seine Rolle in der Halsbandaffäre. Ich empfahl mich ihm als Emigrant, der es nicht versäumen wollte, ihm anlässlich einer Reise, die ihn über Ettenheim führte, seine Aufwartung zu machen. Da er vor Eitelkeit schier platzt, schmeichelte ich ihm gewaltig und schmeichelte mich so gut in sein Vertrauen ein, dass er mich zum Diner einlud. Diese unerwartete Intimität nutzte ich, um ihn über den Herzog von Enghien auszufragen. Die beiden sehen sich selten, doch in einer Kleinstadt wie Ettenheim mit dreieinhalbtausend Einwohnern weiß jeder über jeden Bescheid.

Der Prinz ist ein schöner junger Mann von zwei- oder dreiunddreißig Jahren, mit schütterem blondem Haar, groß gewachsen, wohlgestalt, mutig und höflich. Sein Leben ist geheimnisvoll; von Zeit zu Zeit verschwindet er, und niemand weiß, wohin. Unser kirchlicher Würdenträger vermutet allerdings, dass er sich nach Frankreich begibt, zumindest in diese Richtung, denn zweimal ist er ihm auf der Straße nach Straßburg begegnet, einmal auf dem Rückweg von Offenburg, einmal auf dem von Benfeld.

Citoyen S. de G. wurde von dem Herzog von Enghien formvollendet begrüßt und zum Diner eingeladen; zweifellos hat dieser all seinen Vorschlägen zugestimmt, denn er hat ihn zum Wagen begleitet und ihm zum Abschied herzlich die Hand gedrückt.

Citoyen S. de G. reist nach London. Er ist um elf Uhr abends aufgebrochen, ich werde ihm um Mitternacht folgen.

Eröffnen Sie mir bitte, falls ich genötigt sein sollte, in England zu bleiben, ein Bankkonto mit einem Kredit von einigen hundert Louisdor auf den Namen des Kanzlers der französischen Botschaft, damit dieser Kredit niemandem bekannt wird.

DER LIMOUSINER

P.S. Vergessen Sie bitte nicht, dass die Compagnons de Jéhu übermorgen den Kampf wiederaufnehmen und als erstes Ziel die Schnellpost nach Rouen im Wald von Vernon überfallen wollen.

Mit den vorangegangenen Erläuterungen haben unsere Leser sich das plötzliche Verschwinden Hector de Sainte-Hermines sicherlich erklären können. Durch Cadoudals Schreiben von seinem Wort befreit und durch seine Wünsche in diesem Glauben bestärkt, hatte er sich dazu entschlossen, Mademoiselle de Sourdis um ihre Hand zu bitten. Sie war ihm gewährt worden.

Wir sahen, mit welchem Prunk der Heiratsvertrag unterzeichnet werden sollte und dass Hector die Feder bereits fast in der Hand hielt, als der Chevalier de Mahalin sich seinen Weg bis zu dem Grafen gebahnt hatte, ihn unter einen Kronleuchter gezerrt und ihm dort Cadoudals Befehl an Laurent vorgelesen hatte, die Waffen zu ergreifen, und Laurents Befehl an alle Compagnons de Jéhu, sich ab sofort bereitzuhalten.

Hector hatte einen Schmerzensschrei ausgestoßen. Das ganze Gerüst seines Glücks brach zusammen, seine teuersten Träume, die er seit zwei Monaten gehegt hatte, waren zerstoben. Er konnte es nicht verantworten, den Vertrag zu unterzeichnen und Mademoiselle de Sourdis dem Schicksal auszuliefern, sich eines früheren oder späteren Tages als Witwe eines Mannes wiederzufinden, der als Straßenräuber auf dem Schafott geköpft wurde. Alles Ritterliche an diesem Unternehmen schwand in seinen Augen. Er sah seine Lage nicht mehr unter pittoreskem Gesichtspunkt, sondern ganz im Gegenteil durch das Vergrößerungsglas der Wirklichkeit. Nichts blieb ihm als die Flucht; er zögerte keine Sekunde, zerbrach seine ganze Zukunft wie Glas und sagte: »Fliehen wir.«

Und er eilte mit dem Chevalier de Mahalin aus dem Haus.


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