31 Der Krieg

Das dünne Eis friedlichen Einvernehmens war gebrochen. Bonapartes Auftritt vor Lord Whitworth kam einer Kriegserklärung gleich.

In der Tat ließ England es sich von diesem Moment an angelegen sein, Malta zu behalten, obwohl es sich verpflichtet hatte, die Insel zu verlassen.

Unseligerweise besaß England seinerzeit eine jener Übergangsregierungen, die sich ihre wichtigsten Entscheidungen von der öffentlichen Meinung aufnötigen lassen, statt sie im Interesse des Staates zu treffen.

Es handelte sich um die Regierung Addingtons und Hawkesburys, die durch ihre Fehlentscheidungen seither zu so traurigem Ruhm gelangt ist.

George III. von England befand sich in einer eigenartigen Zwickmühle zwischen der Tory-Regierung Mister Pitts und der Whig-Regierung Mister Foxes. Mit Mister Pitt teilte er die politischen Ansichten, doch den Menschen konnte er nicht ausstehen. Mister Fox brachte er als Person die größte Hochachtung entgegen, doch seine politischen Ansichten waren ihm ein Gräuel. Und um weder auf den einen noch den anderen dieser Rivalen um das Regierungsamt zurückgreifen zu müssen, behielt er die Regierung Addington, die wie alles Provisorische zu einer Dauereinrichtung geworden war.

Am 11. Mai ersuchte der englische Botschafter um Pass und Reisepapiere.

Die Abreise Lord Whitworths erregte ein Aufsehen, wie man es bei einem ähnlichen Anlass noch nie erlebt hatte. Seit sich herumgesprochen hatte, dass er seine Reisepapiere beantragt hatte, warteten zwei- bis dreihundert Neugierige von morgens bis abends vor den Pforten des Stadtpalais, in dem er residierte.

Als zuletzt die Wagen herausfuhren, wurde dem scheidenden Botschafter seitens der Zuschauer lebhafteste Sympathie bekundet, denn jedermann wusste, dass er sich bis zuletzt für den Frieden eingesetzt hatte.

Wie alle tatkräftigen Menschen hatte Bonaparte, sobald er sich für den Frieden entschieden hatte, dessen Vorzüge zu schätzen gewusst und die Vorteile, die er für Frankreich daraus beziehen konnte, in den leuchtendsten Farben gesehen. Unversehens mit aller Gewalt in die entgegengesetzte Richtung genötigt, gelangte er zu dem Schluss, wenn er nicht der Wohltäter Frankreichs und der ganzen Welt sein könne, wolle er sie wenigstens das Staunen lehren. Die dumpfe Abneigung, die er England schon immer entgegengebracht hatte, verwandelte sich nun in überschäumenden Hass, begleitet von größenwahnsinnigen Zukunftsplänen. Die Meerenge zwischen Dover und Calais war keine größere Entfernung als die Strecke, die er beim Überqueren des Sankt Bernhard zurückgelegt hatte, und er dachte sich, wenn er die Alpen bezwungen hatte, im tiefsten Winter, vorbei an Abgründen und oft ohne erkennbaren Weg, über schneebedeckte Berge, die als unüberwindlich galten – wenn all das also nur eine Frage des Transports war, warum sollte ihm dann die Eroberung Englands nicht ebenso gelingen können wie die Eroberung Italiens, vorausgesetzt, er brachte genug Schiffe auf, um eine Armee von hundertfünfzigtausend Mann über den Ärmelkanal zu transportieren? Er ließ die Personen in seiner Umgebung vor seinem inneren Auge Revue passieren und erwog, auf wen er sich verlassen konnte und vor wem er sich in Acht nehmen musste. Die Gesellschaft der Philadelphes war noch immer eine Geheimgesellschaft, doch das Konkordat hatte den Hass der republikanischen Generäle erneut geschürt und vermehrt. All die Apostel der Vernunft – ob Dupuis, Monge oder Berthollet -, die man mit Mühe und Not dazu bewegen konnte, Gott eine gewisse Göttlichkeit zuzuerkennen, waren keineswegs bereit, dem Papst einen besonderen Status einzuräumen. Als halber Italiener war Bonaparte vielleicht nur bedingt religiös, doch abergläubisch war er immer gewesen. Er glaubte an Vorahnungen, Voraussagen, Wahrsager; und wenn er sich dazu hinreißen ließ, in Joséphines engerem Kreis über die Religion zu sprechen, waren seine überspannten Ideen für die Zuhörer nicht selten verstörend.

Eines Abends sagte Monge zu ihm: »Citoyen Erster Konsul, hoffen wir nur, dass wir nicht zum Beichtzettel zurückkehren.«

»Das kann man nie wissen«, erwiderte Bonaparte ungerührt.

Das Konkordat hatte Bonaparte mit der Kirche ausgesöhnt, aber es hatte ihn mit einem Teil seiner Armee entzweit. Die Philadelphes schöpften Hoffnung und wähnten den Moment gekommen, der ein Handeln erforderlich machte. Eine Verschwörung gegen den Ersten Konsul wurde angezettelt.

Die Verschwörer beabsichtigten, Bonaparte während einer Truppeninspektion und vor den Augen seines Gefolges aus Generälen und Ordonnanzen vom Pferd zu stoßen und unter den Pferdehufen zu Tode treten zu lassen. Große Hoffnungen setzten die Verschwörer bei all ihren Projekten stets in Bernadotte, den Kommandanten der Armee im Westen, der sich zurzeit allerdings in Paris aufhielt, und in Moreau, der auf seinem Landgut Grosbois schmollte, weil ihm sein glänzender Sieg bei Hohenlinden, der den Krieg mit Österreich beendet hatte, mit Undank gelohnt worden war.

Daraufhin gelangten drei Schmähschriften nach Paris, die in Form einer Ansprache an die französischen Armeen gehalten waren. Sie kamen aus dem Generalquartier in Rennes, das heißt von Bernadotte. In ihnen wurde der korsische Tyrann verunglimpft, der feige Mörder Klébers, denn die Nachricht von dessen Tod verbreitete sich gerade in Paris, und nicht nur wahrheitswidrig, sondern sogar gegen jede Wahrscheinlichkeit wurde dieser gewaltsame Tod demjenigen angelastet, dem der eine Teil Frankreichs alles Gute zuschrieb, was sich ereignete, und der andere Teil alles Böse. Nach diesen blutigen Themen wurden Bonapartes capucinades mit beißendem Spott bedacht, und das Ganze gipfelte in einem Aufruf, sich gegen ihn zu erheben und ihn mitsamt seiner korsischen Sippschaft vom Erdboden zu tilgen.

Diese Pamphlete wurden mit der Post an alle Generäle, kommandierenden Generäle und ranghöheren Offiziere geschickt, doch hatte Fouchés Polizei jede dieser Sendungen mit Ausnahme der allerersten beschlagnahmt. Die erste Sendung war in der Eilpost von Rennes nach Paris gelangt, in einem Butterfässchen, das an General Moreaus Aide de Camp Rapatel geliefert wurde.

An dem Tag, an dem Bonaparte Fouché kommen ließ, damit dieser mit ihm die Liste der Freunde und Feinde zusammenstellte, hatte Fouché sich darauf eingerichtet, mit den Beweisen der Offiziersverschwörung im Tuilerienpalast vorzusprechen.

Bei Bonapartes ersten Worten begriff Fouché, dass er keinen besseren Zeitpunkt hätte wählen können, denn er führte von jedem der drei Pamphlete ein Exemplar mit sich. Er wusste, dass ein Packen Pamphlete an Rapatel abgeschickt worden war, was bedeutete, dass Moreau auf jeden Fall Mitwisser, wenn nicht gar Mitanstifter dieses Umsturzversuches war, der zum Ziel hatte, in alle Ränge des Heeres Brandsätze zu schleudern.

Es war die Zeit, zu der Bonaparte Ehrensäbel und Ehrengewehre verlieh, eine Vorstufe zur Verleihung des Ordens der Ehrenlegion. Moreau, angespornt durch seine Frau und seine Schwiegermutter, die sich mit Joséphine überworfen hatten und sie mit ihrem Hass verfolgten, hatte sich über diese Ehrengaben lustig gemacht; Fouché berichtete Bonaparte, im Verlauf eines großen und prunkvollen Diners bei Moreau sei dem Koch eine Ehrenkasserolle verliehen und bei einer Wildschweinjagd sei der Jagdhund, der sich am tapfersten in der Verfolgung hervorgetan und drei Bisswunden davongetragen hatte, mit einem Ehrenhundehalsband ausgezeichnet worden.

Solche Bosheiten verübelte Bonaparte dem Urheber ganz ungemein, umso mehr, als sie sich so massiert ereigneten. Er verlangte von Fouché, sich auf der Stelle zu Moreau zu begeben und eine Erklärung von ihm zu fordern. Moreau jedoch lachte nur über die Botschaft, tat die »Butterfässchenverschwörung« als Kinderei ab und gab zur Antwort, wenn Bonaparte als Regierungsoberhaupt Ehrensäbel und Ehrengewehre verteile, könne er als Oberhaupt seines Hauses dort nach eigenem Gutdünken Ehrenkasserollen und -hundehalsbänder verteilen.

Fouché war selten entrüstet, doch diesmal kam er voller Entrüstung zurück.

Als Bonaparte den Bericht seines Ministers vernahm – des Polizeiministers, der nur für ihn allein da war -, geriet er in maßlosen Zorn.

»Moreau ist der Einzige, der neben mir etwas taugt, und es geht nicht an, dass Frankreich darunter leidet, zwischen ihm und mir hin- und hergezerrt zu werden. Wäre ich an seiner Stelle und er an meiner, diente ich ihm mit Vergnügen als sein erster Aide de Camp. Wenn er aber denkt, er könnte sich ein Regierungsamt zutrauen! … Armes Frankreich! Nun, wohlan! Er soll sich morgen früh um vier Uhr im Bois de Boulogne einfinden, und dann werden wir mit dem Säbel die Entscheidung ausfechten. Fouché, Sie werden ihm meinen Befehl übermitteln, Wort für Wort.«

Bonaparte wartete bis um Mitternacht. Um Mitternacht kam Fouché zurück. Diesmal hatte er Moreau zugänglicher vorgefunden. Moreau hatte zugesagt, am nächsten Tag zum Lever in den Tuilerienpalast zu kommen; dieser Zeremonie hatte er schon seit Langem nicht mehr beigewohnt.

Von Fouché vorbereitet, empfing Bonaparte Moreau leutselig, lud ihn zum Frühstück ein und beschenkte ihn beim Abschied mit einem prachtvollen Paar diamantbesetzter Pistolen, die er mit den Worten überreichte: »Ich hätte Ihre Siege auf diese Waffen gravieren lassen, General, doch dafür war nicht genug Platz.«

Sie reichten einander die Hand, doch die Herzen hatten nicht zueinander gefunden.

Kaum war diese Fraktion beruhigt, wenn auch nicht zum Verstummen gebracht, machte Bonaparte sich an die Umsetzung seiner großen Pläne; er ließ die flandrischen und holländischen Häfen auf Form, Größe, Bewohnerschaft und Material untersuchen. Oberst Lacuée, der mit dieser Aufgabe betraut war, musste sich einen ungefähren Überblick über den Zustand aller Schiffe verschaffen, die zwischen Le Havre und Texel Küstenschifffahrt und Fischerei dienten. Offiziere wurden nach Saint-Malo, Granville und Brest entsandt, um die Schiffe zu zählen. Marineingenieure mussten dem Ersten Konsul die Modelle aller Flachboote vorführen, die schweres Geschütz transportieren konnten. Sämtliche Wälder am Ärmelkanal wurden auf die Menge Holz, die man in ihnen schlagen konnte, und auf die Tauglichkeit dieses Holzes zum Bau einer Kriegsflotte inspiziert, und da Bonaparte wusste, dass die Engländer in Italien mit Holz handelten, schickte er Unterhändler mit dem erforderlichen Geld, dieses Holz zu erwerben, das unser Land so dringend brauchte.

Signal der Wiederaufnahme der Kriegshandlungen sollte die Besetzung Portugals und des Golfs von Tarent im Handstreich sein.

Englands Eidbrüchigkeit war so eklatant, dass nicht einmal Bonapartes eingefleischtester Feind ihm den Bruch zur Last legte. Ganz Frankreich empörte sich einhellig; man war sich zwar der Unterlegenheit unserer Marine bewusst, doch zugleich war man der Überzeugung, mit genug Zeit und genug Geld für den Bau der erforderlichen Menge Flachboote werde es uns gelingen, die Engländer zur See ebenso vernichtend zu schlagen wie ihre Alliierten zu Lande.

Sobald bekannt wurde, was diese Flachboote kosteten, wurde es zur Mode, sie dem Ersten Konsul zum Geschenk zu machen. Das Departement Loiret ging voran und bot dreihunderttausend Francs an. Für diesen Betrag konnte man eine Fregatte bauen und mit dreißig Kanonen bestücken. Und alsbald schenkten kleine Städte wie Coutances, Berny, Louviers, Valognes, Foix, Verdun oder Moissac Flachboote, die zwischen achttausend und zwanzigtausend Francs kosteten.

Paris, dessen Wappen ein Schiff ziert, spendete ein Schiff mit hundertzwanzig Kanonen, Lyon eines mit hundert, Bordeaux eines mit achtzig und Marseille eines mit vierundsiebzig Kanonen. Die italienische Republik schließlich spendete dem Ersten Konsul vier Millionen für den Bau zweier Fregatten, die Le Président und La République Italienne heißen sollten.

Unterdessen, während Bonaparte ganz in seinen Kriegsvorbereitungen aufging und die Innen- um der Außenpolitik willen vergaß, erhielt Savary das Schreiben eines ehemaligen Anführers der Vendée, dem Savary so manchen Gefallen getan hatte und der sich auf seine Landgüter zurückgezogen hatte, um dort in Frieden zu leben. Er meldete Savary, eine Gruppe Bewaffneter habe ihn aufgesucht und auf Torheiten angesprochen, wie er sie seit dem 18. Brumaire nicht mehr beging. Er fügte hinzu, um sein Wort zu halten, das er seinerzeit der Regierung gegeben hatte, und um sich vor möglichen Folgen dieses Besuchs zu schützen, habe er sofort Meldung erstattet und sei überdies bereit, sich nach Paris zu begeben, um alles zu berichten, sobald die Weinlese beendet sei.

Savary wusste, welch großen Wert der Erste Konsul darauf legte, über alles informiert zu sein. Sein gewitzter und durchdringender Verstand witterte in den harmlosesten Geschehnissen die verborgensten Absichten. Der Brief beschäftigte ihn eine Weile, doch nach kaum einer Viertelstunde sagte er zu Savary: »Sie werden hinfahren, einige Tage bei Ihrem Vendéer verbringen, die Vendée beobachten und herauszufinden versuchen, was sich dort zusammenbraut.«

Savary reiste am selben Tag inkognito ab.

Bei seinem Freund angekommen, hielt er die Situation für so gravierend, dass er sich als Bauer verkleidete und seinen Freund nötigte, es ihm gleichzutun, woraufhin sie sich an die Verfolgung der Bande machten, die seinen Freund aufgesucht hatte.

Am dritten Tag trafen sie auf einige Männer, die sich am Vortag von der Bande getrennt hatten. Von ihnen erfuhren sie alles, was sie wissen wollten.

Savary kehrte nach Paris zurück, zutiefst überzeugt, dass es nur des sprichwörtlichen Funkens bedürfe, um das Pulverfass namens Vendée und Morbihan in die Luft zu sprengen.

Bonaparte lauschte ihm mit ungeheuchelter Überraschung. Mit dieser Entwicklung hatte er nicht gerechnet; gewiss, Georges hatte ihm den Fehdehandschuh hingeworfen, doch ihn wähnte der Erste Konsul in London, denn Régniers Polizei hatte ihm versichert, sie überwache Cadoudal lückenlos.

In den verschiedenen Kerkern der Stadt gab es zahllose Gefangene, die der Spionage angeklagt waren oder politischer Umtriebe und denen kein Prozess gemacht worden war, weil Bonaparte selbst gesagt hatte, die Zeit werde kommen, da man derlei Intrigen keine Bedeutung mehr beimessen und all diese Unglücklichen auf einen Schlag freilassen werde.

Diesmal ließ der Erste Konsul nicht nach Fouché rufen, sondern sich von Savary die Liste der festgenommenen Personen mit dem Datum ihrer Festnahme und den Notizen über ihr Vorleben bringen.

Unter diesen Häftlingen befanden sich ein gewisser Picot und ein gewisser Lebourgeois; sie waren vor über einem Jahr um die Zeit des Attentats mit der Höllenmaschine nach ihrer Ankunft aus England in Pont-Audemer in der Normandie festgenommen worden. Das Vernehmungsprotokoll wies folgende Randnotiz auf: »Eingereist, um den Ersten Konsul umzubringen.«

Es lässt sich nur spekulieren, warum diese Namen Bonaparte eher auffielen als andere. Jedenfalls ordnete er an, diese beiden und drei weitere vor Gericht zu stellen und abzuurteilen.

Trotz der erdrückenden Beweislage bewahrten Picot und Lebourgeois eine bewunderswerte Kaltblütigkeit; ihre Komplizenschaft mit Saint-Régeant und Carbon war so offenkundig, dass sie zum Tode verurteilt und füsiliert wurden. Bis zuletzt war kein Geständnis von ihnen zu erlangen; im Gegenteil trotzten sie dem Gericht und verkündeten, es werde bald genug Krieg geben, und dieser Krieg werde Bonaparte den Kopf kosten.

Zwei der drei übrigen Gefangenen wurden vom Gericht freigesprochen, einer wurde verurteilt. Der Verurteilte hieß Querelle; er war ein Niederbretone, der in der Vendée-Armee unter Georges Cadoudal gedient hatte.

Verhaftet worden war er auf Betreiben eines Gläubigers, dem er zu seinem eigenen Pech einen Teil des geschuldeten Geldes gezahlt hatte; da er nicht den ganzen Betrag hatte aufbringen können, hatte jener ihn als Verschwörer denunziert.

Der Prozess gegen Picot und Lebourgeois und der gegen Querelle wurden nicht gleichzeitig verhandelt, und so kam es, dass die drei nicht zusammen hingerichtet werden konnten. Die zwei zuerst Verurteilten hatten ihren Gefährten ermahnt, als sie zu ihrem letzten Gang aufbrachen: »Folge unserem Beispiel: Frommen Herzens und ehrlichen Sinnes kämpfen wir für Thron und Altar; wir sterben für eine Sache, die uns die Himmelspforten weit öffnet; sterbe wie wir und sage nichts, wenn du verurteilt wirst; Gott wird dich in die Reihen seiner Märtyrer erheben, und du wirst alle himmlischen Freuden kosten!«

Wie seine Gefährten es vorausgesehen hatten, wurde Querelle zum Tode verurteilt. Gegen neun Uhr abends ließ der Richter das Urteil dem Befehlshaber des Regimentsstabs überbringen, damit dieser bei Anbruch des nächsten Tages das Urteil vollstrecken ließ, wie es üblich war.

Der Befehlshaber war auf einem Ball; er kam um drei Uhr nachts nach Hause, öffnete die Depesche, steckte sie unter sein Kopfkissen und schlief ein.

Wäre der Befehl rechtzeitig ergangen, wäre Querelle zusammen mit seinen Gefährten zur Hinrichtung geschritten, dann wäre er sicherlich wie sie gestorben, von ihrem Mut und von seiner Selbstachtung aufrechterhalten, und er hätte wie sie sein Geheimnis mit ins Grab genommen. Doch die Verspätung in der Ausführung seines Todesurteils, der Tag, den er ganz allein im Angesicht des nahen Todes verbrachte, das langsame Herannahen des letzten Augenblicks, all das senkte Verzweiflung in seinen Geist. Gegen sieben Uhr abends fiel er in so heftige Zuckungen, dass man glaubte, er habe seinen Wärtern Gift entwendet. Der Gefängnisarzt wurde gerufen. Er befragte den Gefangenen nach der Ursache seiner Zustände; er war überzeugt, es mit einer Vergiftung zu tun zu haben, und wollte erfahren, welches Gift der Gefangene genommen hatte.

Querelle jedoch umschlang den Hals des Arztes, näherte seinen Mund dessen Ohr und flüsterte: »Ich bin nicht vergiftet. Ich habe Angst!«

Da erkannte der Arzt, wie man ihn zum Sprechen bringen konnte.

»Sie wissen um ein Geheimnis«, sagte er, »für das die Polizei viel geben würde; stellen Sie Ihre Bedingungen – wer weiß, ob man Sie nicht begnadigen wird!«

»Oh! Niemals, niemals!«, stöhnte der Verurteilte. »Zu spät.«

Auf Drängen des Arztes verlangte Querelle zuletzt eine Feder und Papier und schrieb an den Gouverneur von Paris, er habe ihm Enthüllungen zu machen.

Gouverneur von Paris war nicht mehr Junot, sondern Murat. Bonaparte fand, Junot sei zu leichtfertig, und hatte ihn durch Murat ablösen lassen.

Gegen elf Uhr abends unterhielt sich der Erste Konsul sorgenvoll und nachdenklich in seinem Kabinett mit Réal. Plötzlich wurde die Tür geöffnet, Savary kündigte den Gouverneur von Paris an, und Murat erschien.

»Ah, Murat, Sie sind es«, sagte Bonaparte und trat seinem Schwager ein paar Schritte entgegen. »Sie müssen gewichtige Neuigkeiten haben, wenn Sie mich zu so später Stunde aufsuchen.«

»Ja, General; ich habe soeben den Brief eines armen Teufels erhalten, der zum Tode verurteilt ist und morgen früh hingerichtet werden soll. Er bietet uns Enthüllungen an.«

»Und?«, sagte Bonaparte gleichgültig. »Leiten Sie den Brief an den Richter weiter, der ihn abgeurteilt hat, der soll sich damit befassen.«

»Ich gedachte«, sagte Murat, »so zu verfahren, doch der Brief ist von einer solchen Offenheit und Ehrlichkeit, dass er mein Interesse geweckt hat. Lesen Sie selbst.«

Bonaparte las den Brief, den Murat ihm entrollt hinhielt.

»Armer Teufel! Er will eine Stunde Leben herausschlagen, weiter nichts. Tun Sie, wie Ihnen geboten.«

Und er reichte ihm den Brief zurück.

»Aber General«, beharrte Murat, »haben Sie denn nicht gesehen, was dieser Mann steif und fest behauptet?«

»O doch, das habe ich sehr wohl gesehen; aber solche Behauptungen bin ich gewohnt, und ich sage Ihnen noch einmal, dass der Verurteilte uns nichts mitzuteilen hat, was einen Aufschub rechtfertigen würde.«

»Wer weiß?«, sagte Murat. »Überlassen Sie mir und Monsieur Réal diese Sache.«

»Wenn Sie unbedingt darauf bestehen«, lenkte Bonaparte ein, »dann tun Sie, was Sie für richtig halten. Réal, Sie werden ihn vernehmen. Murat, Sie begleiten den Oberrichter, wenn Sie wollen, aber keinen Aufschub, haben Sie verstanden, ich gestatte keinen Aufschub.«

Réal und Murat zogen sich zurück. Bonaparte ging in sein Schlafzimmer.


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