88 Emma Lyon

Als Strafe für den Sieger von Abukir und von Trafalgar hat Gottes Gerechtigkeit Sorge getragen, dass der Name Emma Lyon für alle Zeiten mit dem Namen Nelson verbunden bleiben wird.

Wir berichteten, dass Nelson ein Schnellboot mit der Nachricht von dem Sieg bei Abukir nach Neapel und London geschickt hatte.

Sobald Emma Nelsons Siegesmeldung erhalten hatte – denn an sie war sie gerichtet -, eilte sie zu Königin Caroline und hielt ihr den geöffneten Brief hin. Die Königin warf einen Blick auf das Schreiben und stieß einen Freudenruf oder eher ein Freudengebrüll aus.

Und ohne sich um den französischen Botschafter Garat zu scheren, der Ludwig XVI. sein Todesurteil vorgelesen hatte und den das Direktorium zweifellos als Warnung an die Adresse der neapolitanischen Monarchen als Botschafter zu ihnen geschickt hatte, befahl die Königin, die glaubte, von Frankreich nichts mehr zu befürchten zu haben, dass nachdrücklich, ostentativ und unbekümmert alle Vorbereitungen zu treffen seien, um Nelson wie einen Triumphator in Neapel zu empfangen.

Caroline, die nicht müde wurde zu verkünden, sie sei Nelson stärker verpflichtet als andere, da sie sich doppelt bedroht gesehen hatte – einerseits durch die Anwesenheit französischer Truppen in Rom, andererseits durch die Proklamation der Römischen Republik -, wollte nicht hinter den anderen Souveränen zurückstehen und ließ ihren Liebhaber, den Premierminister Acton, dem König die Ernennung Nelsons zum Herzog von Bronte (benannt nach einem der drei Kyklopen, die den Donner schmieden) zum Unterzeichnen vorlegen, verbunden mit einer Jahresrente von dreitausend Pfund Sterling, indes der König Nelson beim Überreichen der Ernennungsurkunde das Schwert verehrte, das Ludwig XIV. seinem Sohn Philipp V. geschenkt hatte, als er nach Spanien aufbrach, um dort König zu sein, und das dieser wiederum seinem Sohn Don Carlos geschenkt hatte, als er aufbrach, um Neapel zu erobern.

Neben seinem unermesslichen historischen Wert wurde dieses Schwert, das nach den Worten Karls III. nur in die Hände von Verteidigern oder Rettern des Königreichs beider Sizilien gelangen durfte, der Diamanten wegen, die es verzierten, auf einen materiellen Wert von fünftausend Pfund Sterling geschätzt, anders gesagt hundertfünfundzwanzigtausend Francs.

Die Königin hatte sich vorbehalten, Nelson ein Geschenk zu machen, dem in seinen Augen kein Titel und keine Gunst aller Könige der Welt gleichkommen konnten: Sie hatte sich vorbehalten, ihm Emma Lyon zu schenken, den Gegenstand seiner glühendsten Träume seit fünf Jahren.

Am Morgen des Tages, an dem Nelson in Neapel erwartet wurde, hatte die Königin Emma Hamilton die dunkelbraunen Haare aus der Stirn gestrichen, einen Kuss auf die engelsgleiche Stirn gedrückt, hinter der sich so viele Lügen verbargen, und hatte zu ihrer Freundin gesagt: »Liebste Emma, damit ich König bleiben kann und du Königin bleiben kannst, müssen wir diesen Mann für uns gewinnen, und damit wir ihn gewinnen, musst du dich ihm hingeben.«

Emma hatte den Blick gesenkt, ohne zu antworten, hatte die Hände der Königin ergriffen und mit leidenschaftlichen Küssen bedeckt.

Wir müssen erklären, wie es möglich war, dass Caroline Marie es wagen konnte, sich Lady Hamilton, der Gattin des englischen Botschafters, mit einem solchen Wunsch oder besser Befehl zu nähern.

Emma war die Tochter einer armen Bäuerin aus Wales. Zeitlebens wusste sie weder ihr Alter noch den Ort ihrer Geburt. Soweit sie sich überhaupt erinnern konnte, entsann sie sich ihrer selbst als eines dreioder vierjährigen Kleinkinds, das mit nackten Füßen mitten in Nacht und Nebel einen Pfad in den Bergen eines nördlichen Landes geht, sich mit seiner kleinen eisig kalten Hand an den Kleidern seiner Mutter festhält, einer armen Bäuerin, die das Kind trug, wenn es vor Müdigkeit nicht mehr gehen konnte oder wenn es Bäche zu überqueren galt, die den Weg kreuzten.

Sie entsann sich, dass sie unterwegs unter Hunger und Kälte gelitten hatte.

Und sie entsann sich, dass ihre Mutter, als sie durch ein Dorf kamen, vor der Tür eines Hauses wohlhabender Leute oder vor einer Bäckerei stehen geblieben war und mit flehender Stimme um etwas Geld gebettelt hatte, das ihr fast nie gegeben wurde, oder um etwas Brot, das man ihr fast immer gab.

Zuletzt erreichten die zwei Reisenden das Ziel ihrer Wanderung, die kleine Stadt Flint. Dort waren Emmas Mutter und ihr Vater John Lyon geboren. John Lyon hatte auf der Suche nach Arbeit die Grafschaft Flint verlassen und war nach Cheshire gegangen. Seine Arbeit war ihm nicht gut bekommen. John Lyon war jung und arm gestorben, und seine Witwe kehrte in ihren Heimatort zurück in der Ungewissheit, ob die Heimat sich ihr wohltätig oder herzlos erweisen würde.

Und wie in einem Traum sah Emma sich wieder an einem Berghang, an dem sie eine kleine Herde von vier, fünf Schafen hütete, die an einer Quelle tranken, in der Emma sich spiegelte, um zu sehen, wie ihr die Blumenkränze standen, mit denen sie sich schmückte.

Dann kam ein kleiner Geldbetrag in den bescheidenen Haushalt, den ein Graf Halifax gespendet hatte und der sowohl für den Unterhalt der Mutter als auch für die Erziehung der Tochter bestimmt war.

Nun wurde Emma in ein Mädchenpensionat gesteckt, dessen Uniform aus einem Strohhut, einem himmelblauen Kleid und einer schwarzen Schürze bestand.

Dort blieb sie zwei Jahre lang; nach diesen zwei Jahren holte ihre Mutter sie zurück; sie konnte die Kosten für die Pension nicht mehr aufbringen, denn der Graf von Halifax war mittlerweile gestorben und hatte sie in seinem Testament nicht bedacht.

Emma musste sich damit abfinden, sich als Kindermädchen im Haus eines gewissen Thomas Hawarden zu verdingen, dessen Tochter als junge Mutter gestorben war und drei Kinder hinterlassen hatte.

Als sie eines Tages mit den Kindern spazieren ging, machte sie eine Bekanntschaft, die ihr ganzes Leben verändern sollte. Eine berühmte Londoner Kurtisane namens Miss Arabell und deren damaliger Liebhaber, ein begabter Maler namens Romney, waren stehen geblieben, weil der Maler eine walisische Bäuerin zeichnen wollte und Miss Arabell ihm dabei zusehen wollte.

Die Kinder, mit denen Emma des Weges kam, näherten sich den beiden auf Zehenspitzen, um zu sehen, was der Maler tat. Emma folgte ihnen. Der Maler drehte sich um, erblickte sie und stieß einen Ruf der Bewunderung aus. Emma war dreizehn Jahre alt, und noch nie hatte Romney eine größere Schönheit gesehen.

Er fragte sie aus, wer sie sei und was sie tue. Die rudimentäre Erziehung, die sie erhalten hatte, erlaubte ihr, diese Fragen mit einer gewissen Anmut zu beantworten; er wollte wissen, wie viel ihr dafür bezahlt werde, dass sie die Kinder von Mr. Hawarden hütete. Sie erwiderte, sie werde dafür mit Kleidung, Nahrung, Unterkunft und zehn Shilling im Monat entlohnt.

»Kommen Sie nach London«, sagte der Maler, »und ich werde Ihnen zehn Guineen für jede Skizze geben, die Sie mich von Ihnen machen lassen.«

Er reichte ihr eine Karte, auf der stand: »Edward Romney, Nummer 8, Cavendish Square.«

Und Miss Arabell nahm eine kleine Börse mit einigen Goldstücken aus ihrem Gürtel und bot sie Emma an.

Das Mädchen nahm die Karte, die es sorgfältig in seinem Busen verbarg, wehrte die Börse ab, und da Miss Arabell insistierte und sagte, es werde das Geld für die Reise nach London benötigen, sagte es: »Ich danke Ihnen, gnädige Frau, aber wenn ich nach London gehe, werde ich es mit dem Ersparten tun, das ich bereits besitze und das ich vermehren werde.«

»Mit den zehn Shilling, die Sie monatlich erhalten?«, fragte Miss Arabell lachend.

»Ja, Madam«, erwiderte das Mädchen.

Und so endet das Abenteuer.

Nun, es endet beinahe, denn ganz im Gegenteil wird dieser Tag Früchte tragen. Sechs Monate später befand Emma sich in London, doch Romney war verreist. In Ermangelung des Malers suchte sie Miss Arabell auf, die sie als Gesellschafterin einstellte.

Miss Arabell war die Mätresse des Prinzregenten, hatte also den Gipfelpunkt in der Karriere einer Kurtisane erreicht.

Emma blieb zwei Monate lang bei der schönen Kurtisane, las alle Romane, die ihr in die Hände fielen, besuchte alle Theater, und wenn sie in ihrem Zimmer war, übte sie die Rollen und die Ballettschritte, die sie gesehen hatte; was für andere nur ein Zeitvertreib war, wurde für sie zur ganztägigen Beschäftigung; sie war vor Kurzem fünfzehn Jahre alt geworden und stand in der Blüte ihrer Jugend und Schönheit; ihre geschmeidige, gefällige Gestalt war wie geschaffen für jede Pose, und ihre natürliche Grazie war der Kunst der gewandtesten Tänzerinnen ebenbürtig. Ihr Gesicht, das sich durch alle Widrigkeiten des Lebens die unberührte Färbung der Kindheit erhalten hatte, den jungfräulichen Schmelz der Unschuld, und das der Wandelbarkeit ihrer Physiognomie die verblüffendste Ausdrucksvielfalt verdankte, war in melancholischer Stimmung Ausdruck ungehemmten Schmerzes und in fröhlicher Stimmung reinstes Strahlen. Man hätte meinen können, dass sich in der Reinheit der Züge die Unschuld der Seele offenbarte, und ein großer Dichter unserer Tage, den es dauerte, diesen himmlischen Spiegel zu besudeln, sagte deshalb von ihrem ersten Fehltritt: »Sie strauchelte nicht ins Laster, sondern in Unbesonnenheit und Güte.«

Der Krieg, den England zu jener Zeit gegen die amerikanischen Kolonien führte, hatte seinen Höhepunkt erreicht, und das Pressen war in all seiner Unbarmherzigkeit an der Tagesordnung.

Der Bruder einer Freundin Emmas, ein gewisser Richard, wurde gegen seinen Willen gepresst und genötigt, Seemann zu werden.

Seine Schwester Fanny lief zu Emma und bat sie um Hilfe. Sie war überzeugt, dass niemand den Bitten einer so schönen Person widerstehen konnte.

Sie flehte Emma an, mit ihren Reizen dem Admiral John Payne den Kopf zu verdrehen; heiter kleidete Emma sich in ihr vornehmstes Gewand und suchte in Begleitung ihrer Freundin den Admiral auf.

Sie erhielt, worum sie bat, doch John Payne tat ihr den Gefallen nicht umsonst, und Emma bezahlte Richards Freiheit zumindest mit ihrem Dank, wenn nicht gar mit ihrer Liebe.

Als Mätresse des Admirals Payne bekam Emma ein eigenes Haus, eigene Dienstboten und eigene Pferde, doch dieser Reichtum war so funkelnd und vergänglich wie ein Meteor. Der Admiral stach in See, und Emma musste mit ansehen, wie das Schiff ihres Liebhabers, das am Horizont entschwand, all ihre goldenen Träume auf Nimmerwiedersehen entführte.

Doch Emma war keine Dido, die sich eines wankelmütigen Äneas wegen das Leben nahm. Einer der Freunde des Admirals, Sir Harry Fatherson, ein reicher und stattlicher Edelmann, bot Emma an, standesgemäß für sie aufzukommen. Den ersten Schritt auf der Bahn des Lasters hatte Emma bereits getan; sie nahm das Angebot des Lords an und war eine ganze Saison lang die ungekrönte Königin der Jagdpartien, der Festlichkeiten und Bälle; doch am Ende der Saison war sie von ihrem zweiten Liebhaber vergessen, durch ihre zweite Liebschaft besudelt und geriet nach und nach in so großes Elend, dass sie sich keinen anderen Rat mehr wusste als den, sich am Haymarket als Straßendirne zu verdingen, dem erbärmlichsten aller Orte, an denen sich unselige Geschöpfe den Passanten feilbieten.

Emmas Glück wollte, dass die verabscheuenswürdige Kupplerin, an die sie sich gewendet hatte, um in das Gewerbe der öffentlichen Verderbnis aufgenommen zu werden, von dem vornehmen und züchtigen Betragen ihres neuen Zöglings so beeindruckt war, dass sie sie nicht wie die anderen zur Dirne abrichtete, sondern sie zu einem berühmten Arzt brachte, der in ihrem Haus verkehrte.

Es handelte sich um den bekannten Doktor Graham, einen dem schönen Geschlecht zugeneigten Wunderdoktor und Scharlatan, der den Schönheitskult als Religion zur Erbauung der jungen Leute Londons praktizierte.

Emma kam ihm vor Augen: Er hatte seine Venus Astarte gefunden, verkörpert in einer keuschen Venus.

Für diesen Fund zahlte er viel Geld, doch es war ihm das Geld wert; er legte sie auf das Lager des Apollon, bedeckte sie mit einem Schleier, der durchsichtiger war als jener Schleier, mit dem Vulkan Venus vor den Blicken des ganzen Olymp gefangen hatte, und ließ in alle Zeitungen einrücken, dass er endlich das einzigartige und unerreichte Exemplar menschlicher Schönheit besitze, das ihm bislang zum Beweis seiner Theorien gefehlt hatte.

Auf diesen Appell an die Wollust und die Wissbegier eilten alle Anhänger der Religion der Liebe, deren Kult in aller Welt praktiziert wird, in das Kabinett des Doktor Graham.

Der Triumph war überwältigend: Weder Malerei noch Skulptur hatten je zuvor ein solches Meisterwerk hervorgebracht; Apelles und Phidias mussten sich geschlagen geben.

Maler und Bildhauer pilgerten zum Tempel des Wunderdoktors. Romney, der nach London zurückgekehrt war, kam wie die anderen und erkannte das Mädchen wieder, das er in Wales gesehen hatte. Er malte es in jedweder Verkleidung: als Ariadne, als Bacchantin, als Leda und als Armida, und in der Bibliothèque impériale besitzen wir eine Sammlung von Stichen, auf denen das bezaubernde Geschöpf in allen wollüstigen Haltungen dargestellt ist, welche die sinnliche Antike erfunden hat.

Der junge Sir Charles Grenville aus der vornehmen Familie jenes Warwick, den man den Königsmacher nannte, Neffe Sir William Hamiltons, kam aus Neugier, erblickte Emma Lyon und entflammte angesichts ihrer überwältigenden Schönheit in Liebe. Der junge Lord machte Emma die verlockendsten Versprechungen, doch sie behauptete, dem Wunderdoktor Dank zu schulden, widerstand allen Verführungsversuchen und erklärte, sie sei nur bereit, ihren Liebhaber zu verlassen, um einem Ehemann zu folgen.

Sir Charles gab Emma sein Wort als Edelmann, sie zu heiraten, sobald er mündig wurde. Und Emma war einverstanden, sich von ihm entführen zu lassen.

Das Liebespaar lebte wie Mann und Frau, und auf Sir Charles’ Ehrenwort hin wurden drei Kinder geboren, die durch die Eheschließung legitimiert werden sollten.

Durch Veränderungen in dem Ministerium, zu dessen Mitarbeitern Grenville zählte, verlor er den Posten, dem er den Großteil seiner Einkünfte verdankte. Glücklicherweise geschah dies erst nach drei Jahren Zusammenlebens, als Emma dank der Unterweisung durch die besten Londoner Lehrer gewaltige Fortschritte im Musizieren und Zeichnen gemacht hatte; und nicht nur in der Muttersprache drückte sie sich nun gewandt aus, sondern sie sprach auch Französisch und Italienisch, konnte Verse rezitieren wie eine zweite Mrs. Siddons und beherrschte die Kunst der Pantomime und des Posierens.

Grenville war nicht bereit, seine Ausgaben zu verringern, obwohl er sein Einkommen eingebüßt hatte, sondern schrieb seinem Onkel und bat ihn um Geld. Den ersten Gesuchen gab der Onkel statt; doch dann erwiderte Sir William auf ein weiteres Ersuchen, er stehe im Begriff, nach London zu reisen, und wolle die Reise nutzen, um sich mit den Finanzen seines Neffen zu befassen.

Diese Ankündigung erschreckte die zwei jungen Leute nicht wenig; Sir Williams Ankunft wurde von ihnen im gleichen Maße herbeigesehnt wie gefürchtet. Und eines Tages wurde er bei ihnen vorstellig, ohne sich vorher angekündigt zu haben. Er hielt sich seit acht Tagen in London auf.

Diese acht Tage hatte Sir William darauf verwendet, Auskünfte über seinen Neffen einzuholen, und diejenigen, die er befragt hatte, hatten nicht gesäumt, ihm zu erklären, dass an den Missständen und der finanziellen Misere seines Neffen eine Straßendirne schuld sei, mit der er drei Kinder habe.

Emma zog sich in ihr Zimmer zurück und ließ ihren Geliebten mit seinem Onkel allein; dieser sagte ihm klipp und klar, dass er entweder auf der Stelle auf Emmy Lyon verzichten müsse oder von ihm enterbt werden würde.

Dann verabschiedete er sich und gab seinem Neffen drei Tage Bedenkzeit.

Die letzte Hoffnung des jungen Paares war Emma selbst; sie musste versuchen, Sir William dazu zu bewegen, seinem Neffen zu verzeihen, indem sie ihm vor Augen führte, wie verzeihlich seine Leidenschaft war.

Und statt die Kleidung anzulegen, die ihrer neuen gesellschaftlichen Stellung entsprach, kleidete Emma sich wie in ihrer Jugend in das Kleid aus grobem grauem Wollstoff und setzte einen Strohhut auf; alles Übrige würden ihre Tränen, ihr Lächeln, ihr Mienenspiel, ihre Zärtlichkeit und der Klang ihrer Stimme tun.

Emma wurde von Sir William vorgelassen und warf sich ihm zu Füßen; ob geschickt einstudiert oder durch Zufall: Der Hut glitt ihr vom Kopf, und ihr schönes kastanienbraunes Haar fiel ihr auf die Schultern.

Im Kummer war sie noch bezaubernder als im Glück.

Der alte Archäologe, der bis dahin nur attischen Marmor und klassische griechische Statuen geliebt hatte, sah zum ersten Mal, dass Schönheit aus Fleisch und Blut die kalte und bleiche Schönheit der Göttinnen des Praxiteles und des Phidias übertreffen konnte. Die Liebe, für die er bei seinem Neffen kein Verständnis aufgebracht hatte, eroberte sein Herz und ergriff mit solcher Gewalt Besitz von ihm, dass er sich nicht einmal dagegen zu sträuben versuchte.

Die Schulden seines Neffen, Emmas niedrige Herkunft, ihr skandalöses Zusammenleben, Emmas sattsam bekannte Laufbahn, die Käuflichkeit ihrer Zärtlichkeiten – alles, sogar die Kinder, die Frucht ihrer Liebe, war Sir William hinzunehmen bereit unter der einzigen Bedingung, dass Emma ihm den völligen Verzicht auf jegliche Würde mit ihrem Besitz vergalt.

Emma hatte weit mehr bewirkt, als sie zu hoffen gewagt hätte; doch diesmal beharrte sie auf ihren eigenen Bedingungen: Ein Eheversprechen hatte sie mit dem Neffen vereinigt, und sie erklärte, dass sie Sir William nur als dessen anerkannte Ehefrau nach Neapel begleiten wolle.

Sir William war mit allem einverstanden.

In Neapel tat Emmas Schönheit ihre gewohnte Wirkung; sie erstaunte nicht nur, sie verblüffte.

Sir William, der gelehrte Altertumsforscher und Mineraloge, Botschafter Großbritanniens, Milchbruder und Freund Georges III., versammelte in seinem Haus die vornehmste Gesellschaft der Hauptstadt des Königreichs beider Sizilien in wissenschaftlicher, politischer und künstlerischer Hinsicht. Emma mit ihrem künstlerischen Temperament lernte innerhalb weniger Tage, was sie über Politik und Wissenschaften wissen musste, und schon bald besaßen Emmas Ansichten für die Habitués in Sir Williams Salon nachgerade Gesetzeskraft.

Das war noch nicht der Gipfel ihres Triumphs. Kaum war sie bei Hofe eingeführt worden, erklärte Königin Caroline Marie sie zu ihrer Busenfreundin und machte sie zu ihrer engsten Gefährtin. Nicht genug damit, dass sich die Tochter Maria Theresias in aller Öffentlichkeit mit einer Prostituierten vom Haymarket abgab, sich in deren Gesellschaft und in der gleichen Toilette wie diese in der Kutsche auf der Via Toledo und der Via Chiaia zeigte, nein, nach den Abendgesellschaften, in deren Verlauf die wollüstigsten und zügellosesten Posen der antiken Kunst nachgeahmt worden waren, ließ sie Sir William ausrichten, sie könne sich von ihrer Freundin nicht trennen und werde sie ihm erst am nächsten Morgen zurückschicken, was ihn mit nicht geringem Stolz erfüllte.

Mitten unter diesen Ereignissen, die am Hof von Neapel so gewaltigen Widerhall fanden, sah man Nelson erscheinen, sich auszeichnen und den alt gewordenen Majestäten neue Zuversicht verleihen. Diese Könige, die mit der Hand ihre wackelnde Krone festzuhalten versuchten, hatten nach seinem Sieg bei Abukir neue Hoffnung zu schöpfen begonnen. Caroline Marie, eine Frau, die es nach Reichtum, Macht und Einfluss gelüstete, war nicht gesonnen, sich die Krone wegnehmen zu lassen. Es kann daher wenig erstaunen, dass sie den Zauber, den ihre Freundin ausübte, für ihre Zwecke einsetzen wollte, und am Morgen desselben Tages, an dem sie diese mit Nelson, dem neuen Stützpfeiler des Despotismus, zusammenführte, zu ihr sagte: »Dieser Mann muss uns gehören, und damit er uns gehört, musst du du ihm gehören.«

Sollte es Lady Hamilton denn schwerfallen, ihrer Freundin Caroline Marie mit Horatius Nelson einen Dienst zu erweisen, wie ihn Emma Lyon ihrer Freundin Fanny Strong mit Admiral Payne erwiesen hatte?

Im Übrigen musste es den Sohn des armen Dorfpfarrers von Burnham-Thorpe, den Mann, der seine Größe dem eigenen Mut und seinen Ruf seinem Genius verdankte, einen glanzvollen Lohn für seine Verstümmelungen und für seine Verwundungen dünken, dass dieser König, diese Königin, dieser Hofstaat sich vor ihm verneigten und ihm zum Lohn für seine Siege das herrliche Geschöpf übereigneten, das er so leidenschaftlich liebte.


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