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20. 7. 1930
Habe ich viele Träume geschlafen, laufe ich offenen Auges, doch noch immer in ihrem Bannkreis und ihrer Sicherheit, durch die Straßen. Ich staune, wie ich automatisch einen Fuß vor den anderen setze und mich keiner erkennt. Denn ich gehe durchs Alltagsleben fest an der Hand meiner Astral-Amme, und meine Schritte auf der Straße fallen und hallen zusammen mit den unergründlichen Absichten meiner Schlafphantasie. Und doch gehe ich sicher, strauchle nicht, reagiere richtig, existiere.
Wann immer aber ich nicht aufpassen muß, um Fahrzeugen oder Fußgängern auszuweichen, wann immer ich mit niemandem sprechen oder mich nicht überwinden muß, durch eine Tür zu treten, treibe ich sofort wieder wie ein spitzgefaltetes Papierschiffchen auf Traumgewässern und gebe mich erneut der schwindenden Illusion hin, die mein vages Bewußtsein dieses unter dem Geräusch der Gemüsekarren erwachenden Morgens wärmt.
Und dann, mitten im Leben, wird der Traum zu einem großartigen Film. Ich gehe eine unwirkliche Straße der Unterstadt hinunter, und die Wirklichkeit inexistenter Leben bindet mir zärtlich ein weißes Tuch falscher Erinnerungen um die Stirn. Ich bin ein Seemann im Verkennen meiner selbst. Ich habe alles besiegt, wo ich niemals war. Und diese Schläfrigkeit, die mir zu gehen erlaubt, vorwärts strebend zum Unmöglichen hin, fühlt sich an wie ein frischer, sanfter Wind.
Jeder hat seinen Alkohol. Ich finde meinen Alkohol im Existieren. Trunken vor Selbst-Gefühl, gehe ich einher und gehe sicher. Wenn es an der Zeit ist, finde ich mich wie jeder andere im Büro ein. Wenn es nicht an der Zeit ist, gehe ich zum Fluß und betrachte wie jeder andere den Fluß. Ich bin nicht anders als andere. Und über alledem, mein Himmel, bestirne ich mich insgeheim und habe meine Unendlichkeit.