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31. 3. 1934
Wie lange schon schreibe ich nicht mehr! Ich habe in den letzten Tagen Jahrhunderte unbestimmten Verzichts durchlebt. Ich stand still wie ein verlassener See inmitten nicht existenter Landschaften.
Unterdessen aber habe ich die vielfältige Monotonie der Tage genossen, die nie gleiche Abfolge der immer gleichen Stunden – das Leben. Ja, ich habe es genossen. Und hätte ich geschlafen, es wäre nicht anders gewesen. Ich stand still wie ein nicht existenter See inmitten verlassener Landschaften.
Wie alle, die sich kennen, kenne ich mich oftmals nicht … Ich sehe mich deutlich hinter all den Masken, durch die ich lebe. Von jeder Veränderung bleibt mir das Unveränderliche und von jedem Tun alles, mit anderen Worten: nichts.
Ich entsinne mich entfernt in meinem Inneren, als hätte ich es je bereist, der Monotonie jenes Hauses auf dem Land, die so anders war als diese hier … Ich habe dort meine Kindheit verbracht, aber könnte, selbst wenn ich es wollte, nicht sagen, ob sie glücklicher oder unglücklicher war als mein Leben heute. Mein Ich, das damals dort lebte, war anders: zwei andere, unterschiedliche, nicht zu vergleichende Leben. Die gleiche, sie äußerlich verbindende Monotonie nahm sich im Inneren zweifellos anders aus. Es waren nicht zwei Monotonien, nein, sondern zweierlei Leben.
Wozu diese Erinnerungen?
Ich bin müde. Und erinnern heißt ausruhen, denn wer sich erinnert, handelt nicht. Wie oft entsinne ich mich, um besser entspannen zu können, dessen, was nie war, und in meinen Erinnerungen an die Orte, an denen ich lebte, ist nichts von der Klarheit und Sehnsucht der Erinnerungen, die, knarrend Diele um Diele, die weiten Räume von einst bewohnen, in denen ich niemals wohnte.
Ich bin so sehr Fiktion meiner selbst geworden, daß jedes natürliche Gefühl, kaum kommt es in mir auf, sogleich zu einem imaginären Gefühl wird – Erinnerungen werden zu Träumen, Träume zum Vergessen der Träume und jedes Selbst-Erkennen ein Nicht-anmich-Denken.
Ich habe mein eigenes Wesen so sehr abgelegt, daß existieren für mich Kleidung anlegen heißt. Ich bin nur verkleidet ich selbst. Und um mich her vergolden alle ungekannten Sonnen im Untergang Landschaften, die ich nie sehen werde.