Anhang
I. Texte, die auf den Namen Vicente Guedes verweisen
Vicente Guedes war über Jahre ein von Pessoa für das Buch der Unruhe als Autor vorgesehenes Heteronym, ehe es durch Bernardo Soares ersetzt wurde. Seine psychische Struktur und Geisteshaltung kommt der des Baron von Teive, eines anderen pessoanischen Heteronyms und »Autor« von Die Erziehung zum Stoiker[90] , sehr nahe.
Meine Bekanntschaft mit Vicente Guedes ergab sich rein zufällig. Wir waren uns des öfteren in einem ruhigen, preiswerten Restaurant begegnet. Wir kannten uns vom Sehen und begannen uns wie selbstverständlich stillschweigend zu grüßen. Eines Tages fanden wir uns am selben Tisch wieder, der Zufall wollte es, daß wir zwei, drei Sätze wechselten, so kamen wir ins Gespräch. Von da an trafen wir uns alle Tage, zum Mittag- und zum Abendessen. Bisweilen verließen wir das Restaurant gemeinsam nach dem Abendessen, gingen ein wenig spazieren und plauderten.
Vicente Guedes ertrug dieses nichtige Leben mit meisterhaftem Gleichmut. Seine Geisteshaltung gründete sich auf einen Stoizismus der Schwachen.
Die Beschaffenheit seiner Psyche verdammte ihn zu Sehnsüchten aller Art und die seiner Bestimmung, von all diesen Sehnsüchten abzulassen. Keine Menschenseele hat mich je so erstaunt. Obgleich alles andere als ein Asket, hatte dieser Mann allem abgeschworen, wozu seine Natur ihn bestimmt hatte. Obgleich zur Zielstrebigkeit geboren, gewann er zunehmend Geschmack an der völligen Ziellosigkeit.
… dieses sanfte Buch.
Ist alles, was bleiben wird von einer der subtilsten passiven Seelen, von einem der haltlosesten reinen Träumer, den diese Welt je gekannt hat. Nie, glaube ich, hat eine nach außen hin menschliche Kreatur das Bewußtsein von sich selbst vielschichtiger gelebt. Dandy im Geiste, hat er die Kunst des Träumens durch den Zufall seiner Existenz geführt.
Dieses Buch ist die Biographie von jemandem, der nie ein Leben hatte …[91]
Niemand weiß, wer Vicente Guedes war, noch was er tat oder […]
Dieses Buch ist nicht von ihm, dieses Buch ist er. Aber vergessen wir nie, was sich hinter all dem hier Gesagten geheimnisvoll im Schatten schlängelt.
Für Vicente Guedes war sich seiner selbst bewußt zu sein eine Kunst und eine Moral, Träumen eine Religion.
Guedes war zweifelsohne Schöpfer eines inneren Adels, jener Seelenhaltung, die der Körperhaltung eines vollendeten Aristokraten am ehesten entspricht.
Die Not eines Mannes, der auf der Terrasse seines prächtigen Landgutes Lebensüberdruß empfindet, ist eine Sache; eine andere hingegen die Not von jemandem wie mir, der die Landschaft vom vierten Stock aus in einem Zimmer der Lissabonner Unterstadt betrachtet und nicht vergessen kann, daß er Hilfsbuchhalter ist.
»Tout notaire a rêvé des sultanes« …[92]
Wann immer ich auf einem offiziellen Dokument meinen Beruf angeben muß und, ohne daß sich jemand verwundert, Kaufmännischer Angestellter schreibe, schmunzele ich innerlich über die Ironie des unverdient Lächerlichen.
Ich weiß nicht, wie er dorthin gekommen ist, so aber steht mein Name im Handelsregister.
Der Eintrag lautet:
Guedes (Vicente), Kaufmännischer Angestellter,
Rua dos Retroseiros[93] , 17 – 4°.
Handelsregister von Portugal