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Wir gingen getrennt-vereint auf den wild gewundenen Pfaden des Waldes. Unsere Schritte, das Fremde an uns, fanden, weil im Einklang, gemeinsam durch das knackende Weich der Blätter, die gelb, halb grün die Unebenheiten des Bodens bedeckten. Doch gingen sie auch allein, denn wir waren zwei Gedanken, und gemeinsam war uns nur, was wir nicht waren und was im Einklang denselben Boden beschritt, den wir beide hörten.
Der Herbst hatte schon begonnen, und wir vernahmen überall, wo wir gingen oder gegangen waren, nicht nur die Blätter unter unseren Füßen, sondern in der rauhen Begleitung des Windes auch das unablässige Fallen anderer Blätter oder Geräusche von Blättern. Der Wald war die einzige Landschaft, er verbarg all die anderen. Doch als Ort und als Platz genügte er Menschen wie uns, deren Leben ein Gehen war in Einklang und Verschiedenheit über welken Grund. Ich glaube, es war ein Tagesende, dieses oder eines anderen Tages, oder vielleicht aller Tage, in einem Herbst aller Herbste, in einem symbolischen, wirklichen Wald.
Welche Heimstatt, welche Pflicht, welche Liebe wir hinter uns ließen – wir selbst hätten es nicht zu sagen vermocht. Zwei Wanderer, nicht mehr, waren wir in diesem Augenblick, zwei Wanderer zwischen Vergessen und Nicht-Wissen, Reiter zu Fuß, Ritter des aufgegebenen Ideals. Doch darin, wie auch im gleichbleibenden Geräusch der zertretenen Blätter und im immer gleichen rauhen Geräusch des ungewissen Windes, lag der Seinsgrund für unseren Abschied und unsere Wiederkehr, denn da wir weder das Wie des Weges kannten noch das Warum, wußten wir nicht, ob wir kamen oder gingen. Und um uns versetzte mit seiner Traurigkeit das Geräusch der verfallenden Blätter, die wir nicht fallen sahen, noch wußten, wohin sie fielen, den Wald in Schlaf.
Keiner wollte wissen vom anderen, und doch wäre keiner weitergegangen ohne den anderen. Wir begleiteten einander wie im Schlaf. Das Geräusch der gleichklingenden Schritte half jedem, ohne den anderen zu denken, die eigenen einsamen Schritte hätten jeden von uns geweckt. Der Wald war eine Folge falscher Lichtungen, als wäre er selbst falsch oder hörte auf, doch weder der Wald hörte auf noch das Falsche. Unsere Schritte gingen unvermindert im Gleichklang, und um das Geräusch der Blätter unter unseren Füßen hörten wir das unbestimmte Geräusch von Blättern, die fielen im Wald, der alles geworden war, im Wald, der wie das Universum war.
Wer waren wir? Zwei Wesen oder zwei Formen nur eines Wesens? Wir wußten es nicht, noch fragten wir. Eine unbestimmte Sonne mußte existieren, denn es war nicht dunkel im Wald. Ein unbestimmtes Ziel mußte existieren, denn wir folgten einem Weg. Eine Welt mußte existieren, denn es existierte ein Wald. Das aber, was war oder sein konnte, war uns fremd, Wanderer, die wir waren, im Einklang und ewig, auf welken Blättern, namenlose, unmögliche Zuhörer fallender Blätter. Nicht mehr. Ein bald rauhes, bald sanftes Rauschen des unbekannten Waldes, ein bald lautes, bald leises Raunen nicht gefallener Blätter, eine Spur, ein Zweifel, eine aufgegebene Absicht; eine Illusion, die es nie gab – der Wald, die zwei Wanderer und ich, nicht wissend, wer von beiden ich war, ob beide oder keiner von beiden. Und ohne ihr Ende zu sehen, wohnte ich der Tragödie bei, die besagt, daß es nie mehr geben wird als den Herbst und den Wald und den immerfort rauhen, ungewissen Wind und die immerfort fallenden oder abgefallenen Blätter. Und immerfort, als gäbe es außerhalb mit Gewißheit eine Sonne und einen Tag, sah man deutlich hin zu keinem Ende in der lärmenden Stille des Waldes.