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23. 3. 1930
Die abstrakte Intelligenz macht müde, und diese Müdigkeit ist die schrecklichste von allen. Sie lastet nicht auf uns wie die Müdigkeit des Körpers und beunruhigt nicht wie die durch eine emotionale Erfahrung geweckte Müdigkeit. Es ist eine Last des Bewußtseins von der Welt, ein Nicht-mit-der-Seele-atmen-Können.
Dann zerreißen wie Wolken im Wind alle Vorstellungen, in denen wir das Leben gespürt haben, und aller Ehrgeiz, alle Pläne, in die wir unsere Erwartung an die Zukunft gesetzt haben, verwehen wie Asche und Nebel, Fetzen dessen, was nie war noch je sein könnte. Und mit der Nachhut dieser Niederlage erscheint rein die schwarze, unversöhnliche Einsamkeit des leergefegten, bestirnten Firmaments.
Das Geheimnis des Lebens schmerzt und erschreckt uns auf vielfache Weise. Manchmal überkommt es uns wie ein gestaltloses Gespenst, und die Seele erzittert vor der schlimmsten aller Ängste – vor der ungestalten Inkarnation des Nicht-Seins. Ein andermal steht es hinter uns, sichtbar nur, wenn wir uns nicht nach ihm umsehen, und es ist die Wahrheit, zutiefst entsetzt, daß wir sie nicht erkennen.
Doch der Schrecken, der mich heute vernichtet, ist weniger edel und zehrt mehr an mir. Es ist ein Verlangen, nicht denken zu wollen, ein Wunsch, nie irgend etwas gewesen zu sein, eine bewußte Verzweiflung aller Zellen des Körpers und der Seele. Das unvermittelte Gefühl, eingesperrt zu sein in einer unendlichen Zelle. Wohin die Fluchtgedanken richten, wenn allein die Zelle alles ist?
Dann packt mich ein überwältigender, absurder Wunsch nach einer Art Satanismus, vor Satan noch, ein Wunsch, daß sich eines Tages – ein Tag ohne Zeit und Substanz – ein Fluchtweg aus Gott heraus finden und das Tiefste in uns aufhören möge, ein Teil des Seins oder Nicht-Seins zu sein.