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Ästhetik der Gleichgültigkeit


Der Träumer sollte versuchen, jedem Ding gegenüber jene unmißverständliche Gleichgültigkeit zu empfinden, die dieses Ding in seiner Eigenschaft als Ding bei ihm hervorruft.

Jedem Gegenstand oder Ereignis spontan alles Träumbare entnehmen und alles, was an ihm wirklich ist, als tote Materie in der äußeren Welt zurücklassen, diese Fähigkeit sollte der Weise in sich zu erlangen suchen.

Niemals aufrichtig seine eigenen Gefühle empfinden und seinen blassen Triumph in einer Weise erleben, daß man die eigenen Ambitionen, Sehnsüchte und Wünsche gleichmütig betrachtet; seine Freuden und Ängste durchleben wie etwas, das ohne Belang ist.

Die größte Selbstbeherrschung ist die Gleichgültigkeit gegen sich selbst und Körper und Seele als Haus, Grund und Boden zu betrachten, als vom Schicksal für uns bestimmten Lebensraum. Den eigenen Träumen und heimlichen Wünschen mit Hochmut begegnen wie ein Grandseigneur, sie höflich und taktvoll ignorieren. Es nicht an Anstand fehlen lassen in unserer eigenen Gegenwart; darauf achten, daß wir nie ganz allein, sondern stets Zeugen unserer selbst sind und daher vor uns selbst handeln sollten wie vor einem Fremden – mit gekonnt heiterem Gehabe, gleichgültig, weil vornehm, kühl, weil gleichgültig.

Um nicht in unserem eigenen Ansehen zu sinken, genügt es, uns von Passionen und Ambitionen zu verabschieden, von Wünschen und Hoffnungen, Zwängen und innerer Unruhe. Es genügt, sich immer wieder bewußt zu machen, daß wir uns allzeit in unserer eigenen Gegenwart befinden und nie so allein sind, als daß wir uns gänzlich gehenlassen könnten. Dessen eingedenk, werden wir unsere Passionen und Ambitionen einzudämmen vermögen, denn Passionen und Ambitionen machen verwundbar; wir werden weder Wünsche noch Hoffnungen hegen, denn Wünsche und Hoffnungen sind niedrig und unfein; wir werden auch keinem Zwang und keiner inneren Unruhe nachgeben, denn übereiltes Tun ist in den Augen anderer eine Taktlosigkeit und Ungeduld immer ein Unding.

Ein Aristokrat ist, wer nie vergißt, daß er niemals allein ist; daher sind Etikette und Schicklichkeit Erbteil der aristokratischen Familien. Verinnerlichen wir den Aristokraten. Entreißen wir ihn den Salons und Gärten und versetzen ihn in unsere Seele und das Bewußtsein von unserer Existenz. Seien wir zu uns immer, wie Etikette und Schicklichkeit es verlangen, kontrolliert und das Äußere stets im Auge.

Jeder von uns stellt eine Gemeinschaft dar, ein Stadtviertel des Mysteriums, daher sollten wir das Leben dieses Stadtviertels zumindest so fein und vornehm gestalten, daß die Feste unserer Empfindungen ziemlich und würdig sind und die Höflichkeit auf den Festmählern unserer Gedanken ungekünstelt. Andere Seelen mögen um uns herum ihre schmutzigen Armenviertel errichten, wir sollten das unsere klar umreißen. Alles, von den Fassaden unserer Gefühle bis hin zu den Nischen unserer Schüchternheit, möge vornehm und heiter sein, ein Ausdruck von Mäßigung, Schlichtheit, fern jeder Zurschaustellung.

Für jede Empfindung eine heitere Art und Weise der Verwirklichung finden. Die Liebe auf den Schatten eines Liebestraumes reduzieren, auf einen blassen, bebenden Augenblick zwischen den Kämmen zweier kleiner Wellen im Mondlicht. Das Verlangen vergeblich und harmlos werden lassen, gleichsam zu einem zarten Lächeln der Seele, allein mit sich; aus ihr etwas machen, das nie daran denkt, sich zu verwirklichen oder zu äußern. Den Haß einschläfern wie eine gefangene Schlange und der Furcht bedeuten, von all ihren Äußerungen nur die Angst im Auge zu behalten, im Auge unserer Seele, da nur diese Haltung als ästhetisch betrachtet werden kann.


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