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Dem Gefühl des Genesens haftet etwas melancholisch Heiteres an, zumal, wenn die vorausgegangene Krankheit kaum spürbar war in den Nerven. Eine Art Herbst liegt über Gemütsbewegungen und Gedanken oder vielmehr ein Frühlingsbeginn, der, auch ohne fallende Blätter, in Luft und Himmel herbstlich ist.

Die Mattigkeit schmeckt gut, und was gut schmeckt, schmerzt immer ein wenig. Obgleich mitten im Leben, fühlen wir uns ein wenig außerhalb, wie auf dem Balkon des Hauses, in dem es sich abspielt. Wir sind nachdenklich, ohne zu denken, wir fühlen, ohne bestimmbare Gefühle. Der Wille ruht, denn er wird nicht gebraucht.

Dann aber kommen bestimmte Erinnerungen, bestimmte Hoffnungen, bestimmte unbestimmte Wünsche langsam den Hang unseres Bewußtseins hoch, undeutlich wie Wanderer, vom Gipfel eines Berges aus gesehen. Erinnerungen an belanglose Dinge, nicht erfüllte Hoffnungen, um die es nicht schade war, Wünsche, weder heftig von Natur aus noch in ihrer Äußerung, unfähig, auch nur existieren zu wollen.

Wenn der Tag sich einstellt auf diese Empfindungen, wie der Tag heute, der trotz Sommer halb bewölkt ist, halb blau, und ein schwacher Wind weht, der, weil nicht warm, fast kalt ist, ja, dann verstärkt sich jener Seelenzustand, in dem wir diese Eindrücke denken, fühlen und erleben. Nicht daß unsere Erinnerungen, Hoffnungen, Wünsche deutlicher wären. Aber wir verspüren sie stärker, und ihre unbestimmte Summe lastet absurderweise ein wenig auf unserem Herzen.

Etwas in mir ist fern in diesem Augenblick. Ich stehe tatsächlich auf dem Balkon des Lebens, aber nicht wirklich dieses Lebens. Ich stehe über ihm und sehe es, von wo ich sehe. Es liegt vor mir, mit Abhängen und Terrassen, wie eine vielgestaltige Landschaft bis hin zum Rauch über den weißen Häusern der Dörfer im Tal. Auch wenn ich die Augen schließe, sehe ich, denn ich sehe nicht. Wenn ich sie öffne, sehe ich nichts mehr, denn ich habe nicht gesehen. Ich bin eine unbestimmte Sehnsucht, nicht nach der Vergangenheit, nicht nach der Zukunft: Ich bin eine Sehnsucht nach der Gegenwart, namenlos, unaufhörlich, unverstanden.


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