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Die Intensität meiner Empfindungen war immer geringer als die Intensität meines Bewußtseins von ihnen. Ich habe stets mehr unter dem Bewußtsein zu leiden gelitten als unter dem Leid, von dem ich Bewußtsein hatte.
Das Leben meiner Gemütsbewegungen ist von Anfang an in die Räume des Denkens gezogen, dort habe ich meine gefühlsmäßige Erkenntnis des Lebens stets weitgreifender erlebt.
Und da das Denken, wenn es die Emotion beherbergt, anspruchsvoller wird als die Emotion selbst, machte der Bewußtseinszustand, in dem ich fortan meine Gefühle erlebte, meine Art zu fühlen alltäglicher, hautnaher, prickelnder.
Denkend schuf ich mich zu Echo und Abgrund. Ich vervielfachte mich, indem ich mich vertiefte. Das kleinste Vorkommnis – eine Veränderung des Lichtes, der eingerollte Fall eines trockenen Blattes, das Blumenblatt, das sich welk löst, die Stimme auf der anderen Seite der Mauer oder die Schritte dessen, der spricht, im Verein mit den Schritten desjenigen, der sie vernimmt, das halb geöffnete Portal des alten Gutes, der Innenhof, der sich unter dem Bogen der im Mondlicht zusammengescharten Häuser auftut – all diese Dinge, die mir nicht gehören, fesseln mein empfindsames Nachdenken mit Banden des Widerhalls und der Sehnsucht. In jeder einzelnen dieser Wahrnehmungen bin ich ein anderer, erneuere mich schmerzlich in jedem unbestimmten Eindruck.
Ich lebe von Eindrücken, die nicht die meinen sind, ich bin ein Verschwender des Verzichts, ein Anderer in der Art, wie ich ich bin.