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Wir werden gleichgültig bleiben gegenüber der Wahrheit oder Lüge aller Religionen, aller Philosophien, aller umsonst nachprüfbaren Hypothesen, die wir Wissenschaften nennen. Ebensowenig wird uns das Schicksal der sogenannten Menschheit kümmern und das, was sie in ihrer Gesamtheit erleidet oder nicht erleidet. Karitas, gewiß, unserem »Nächsten« gegenüber, wie es im Evangelium heißt, nicht aber dem Menschen gegenüber, der darin nicht erwähnt wird. Bis zu einem gewissen Grad sind wir alle so: Inwieweit berührt, selbst die Besten unter uns, ein Massaker in China? Weniger schmerzlich jedenfalls, selbst jene, für die alles vorstellbar ist, als die ungerechte Ohrfeige, die man einem Kind auf der Straße vor unseren Augen gibt!
Karitas für alle, Intimität mit niemandem. So interpretiert Fitzgerald, der englische Übersetzer, in seinen Anmerkungen einen Aspekt in Khayyams Ethik.
Das Evangelium empfiehlt zwar die Liebe zum Nächsten, sagt aber nichts von der Liebe zum Menschen oder zur Menschheit, der in der Tat niemand helfen kann.
Man wird sich vielleicht fragen, ob ich mir die Philosophie Khayyams zu eigen mache, so wie ich sie hier, ich glaube zutreffend, von neuem darstelle und auslege. Dazu kann ich nur sagen, ich weiß es nicht. An manchen Tagen halte ich sie für die beste, ja sogar die einzige aller praktischen Philosophien. An anderen Tagen wieder kommt sie mir nichtig, tot und nutzlos vor wie ein leeres Glas. Ich kenne mich nicht, weil ich denke. Und weiß daher nicht, was ich wirklich denke. Wäre ich ein gläubiger Mensch, wäre ich anders, aber auch wenn ich verrückt wäre, wäre ich anders. Oder besser: Wenn ich ein Anderer wäre, wäre ich anders.
Außer diesen Dingen der profanen Welt gibt es fraglos noch die Geheimlehren der esoterischen Orden, die offenkundigen Mysterien, die geheimgehalten, und die verschleierten Mysterien, die in öffentlichen Ritualen versinnbildlicht werden. Aber auch in den großen katholischen Riten, im Marienkult der Römischen Kirche oder in der Zeremonie des Geistes der Freimaurerei gibt es Okkultes und Halbokkultes.
Doch wer sagt uns letztlich, ob der Initiierte, wenn er sich in den Herzkammern des Mysteriums auskennt, nicht nur die schmähliche Beute einer neuen Facette der Illusion ist? Was hat er schon für eine Gewißheit, wenn ein Verrückter sich seiner eigenen Verrücktheit gewisser ist als er sich der seinen? Spencer sagte, unser Wissen sei eine Sphäre, die, je mehr sie sich erweitere, um so mehr an unser Unwissen rühre. Auch gehen mir bei diesem Kapitel über Initiationsriten die schrecklichen Worte eines Meisters der Magie nicht aus dem Sinn: »Ich habe Isis gesehen«, sagte er, »ich habe Isis berührt und weiß dennoch nicht, ob sie existiert.«