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(Chapter on Indifference or something like that)
Jede ihrer selbst würdige Seele möchte das Leben im Extrem leben. Sich bescheiden mit dem, was man erhält, ist Sklaven eigen. Mehr wollen ist Kindern eigen. Mehr erobern ist Narren eigen, denn alles Erobern ist […]
Das Leben im Extrem leben bedeutet, es bis zum Äußersten zu leben, und das kann man auf dreierlei Art, es ist an jeder höheren Seele, sich eine dieser Arten zu wählen. Das Leben läßt sich durch extreme Besitznahme extrem leben, mittels einer Odyssee durch alle lebbaren Empfindungen, durch alle Formen veräußerlichter Energie. Doch waren es zu allen Weltenzeiten nur wenige, die ihre Augen müde aller Müdigkeiten schließen konnten und alles auf alle Weise besaßen.
Nur wenige können das Leben veranlassen, sich ihnen mit Leib und Seele zu ergeben; sie kennen keine Eifersucht, da sie sich seiner Liebe ganz und gar sicher sind. Doch dies ist gewiß der Wunsch jeder höheren und starken Seele. Stellt diese Seele jedoch fest, daß sie ihren Wunsch nicht verwirklichen kann, daß es ihr an Kraft fehlt, alle Teile des Ganzen zu erobern, so bleiben ihr noch zweierlei Wege: zum einen der Weg des völligen Verzichts, der vollkommenen und strikten Enthaltung, wobei sie in die Sphäre des Empfindungsvermögens verlagert, was sie im Bereich der Aktivität und Energie unmöglich ganz besitzen kann. Lieber erhaben nicht handeln als unnütz, fragmentarisch und unzureichend handeln wie die unzählbar überflüssige, nichtige Mehrheit der Menschen; zum anderen der Weg des vollkommenen Gleichgewichts, die Suche nach der Grenze in absoluter Ausgewogenheit, wobei sich das Verlangen nach dem Extrem vom Willen und vom Gefühl auf die Verstandeskraft verlagert und der ganze Ehrgeiz nunmehr darauf gerichtet ist, nicht das ganze Leben zu leben, nicht das ganze Leben zu fühlen, sondern das ganze Leben zu ordnen, es in innerer und äußerer Übereinstimmung zu erfüllen.
Der Drang zu begreifen, der für so viele edle Seelen den Drang zur Tat ersetzt, gehört in die Sphäre des Empfindungsvermögens. Energie durch Verstandeskraft ersetzen, die Verbindung zwischen Wille und Gefühl unterbrechen, allen Gesten des materiellen Lebens das Interesse nehmen, dies ist, sofern man es vermag, mehr wert als das Leben, das so schwer ganz zu besitzen ist und so traurig, wenn wir es nur zum Teil besitzen.
Die Argonauten sagten, Seefahrt muß sein, nicht aber Leben. Wir, Argonauten eines krankhaften Empfindungsvermögens, sollten sagen, Empfinden muß sein, nicht aber Leben.