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Die meisten Leute leben spontan ein fiktives, fremdes Leben. Die meisten Leute sind andere Leute[51] , sagte Oscar Wilde, und er hat es gut getroffen. Einige vergeuden ihr Leben mit der Suche nach etwas, das sie nicht wollen; andere suchen nach etwas, das ihnen, obgleich sie es wollen, nicht von Nutzen ist; andere wiederum verlieren sich […]

Die meisten jedoch sind glücklich und genießen das Leben ohne Grund. Der Mensch weint im allgemeinen wenig, und wenn er klagt, wird es zu seiner Literatur. Pessimismus als demokratische Formel hat wenig Aussicht auf Erfolg. Und wer das Unglück in der Welt beweint, ist einsam – er beweint nur das eigene Unglück. Hatten ein Leopardi, ein Antero[52] etwa keinen Geliebten, keine Mätresse? Das Universum ist ein Übel. Wird ein Vigny nicht gebührend geliebt? Die Welt ist ein Kerker. Erträumt ein Chateaubriand mehr als das Mögliche? Das menschliche Leben ist Überdruß. Ist ein Hiob aussätzig? Die Erde ist aussätzig. Drücken den Traurigen die Hühneraugen? Weh den Füßen, den Sonnen und den Sternen!

Von all dem unberührt, verdaut und liebt die Menschheit unverdrossen weiter, nur beweinend, was beweint werden muß, und auch das nur so kurz wie möglich: den Tod eines über die Jahre, bis auf seine Geburtstage, vergessenen Sohnes; den Verlust von Geld, der auch nur so lange Tränen verursacht, bis sich neues Geld findet oder man sich mit dem Verlust abgefunden hat.

Die Lebenskraft kehrt zurück und belebt. Die Toten bleiben begraben. Die Verluste bleiben verloren.


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