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8. 4. 1931
Dieser ganze Tag, in all der Trostlosigkeit seiner versprengten, gleichgültigen Wolken, war beherrscht von Revolutionsgerede. Derlei Nachrichten, gleich, ob richtig oder falsch, erfüllen mich stets mit besonderem Unbehagen, einer Mischung aus Verachtung und körperlichem Ekel. Es schmerzt meinen Verstand, daß jemand glaubt, er ändere etwas, indem er aufbegehrt und aufrüttelt. Gewalt, welcher Art sie auch sei, war für mich immer eine besonders gravierende Form menschlicher Dummheit. Folglich sind alle Revolutionäre Dummköpfe und desgleichen alle Reformer, wenn auch, da weniger störend, in geringerem Maße.
Revolutionär oder Reformer – sie erliegen dem gleichen Irrtum. Unfähig, die eigene Haltung zum Leben, das alles ist, oder zum eigenen Sein, das fast alles ist, zu beherrschen oder zu ändern, ergreift der Mensch die Flucht nach vorn, indem er versucht, die Anderen und die Außenwelt zu verändern. Jeder Revolutionär, jeder Reformer ist ein Flüchtiger. Kämpfen heißt außerstande sein, sich selbst zu bekämpfen. Reformieren heißt selbst nicht verbesserungsfähig sein.
Ein wahrhaft sensibler und vernünftiger Mensch versucht naturgemäß, wenn ihn Übel und Ungerechtigkeit der Welt bekümmern, zunächst dort gegen sie anzugehen, wo sie am deutlichsten zutage treten, nämlich bei sich selbst. Und damit wird er sein Leben lang beschäftigt sein.
Alles hängt für uns von unserer Weltsicht ab; unsere Weltsicht ändern heißt die Welt für uns verändern, oder anders gesagt, die Welt zu verändern, da sie für uns niemals etwas anderes sein wird als das, was sie für uns ist. Jene innere Gerechtigkeit, die wir aufbieten, um eine Seite flüssig und schön schreiben zu können, jene wirkliche Reform, dank derer wir unser abgestorbenes Empfinden wieder neu beleben – das ist die Wahrheit, unsere Wahrheit, die einzige Wahrheit. Alles übrige auf der Welt ist Landschaft, ein Rahmen für unsere Empfindungen, ein Einband für unsere Gedanken. Und dem ist so, ob es nun die farbige Landschaft der Dinge und des Seins ist – Felder, Häuser, Plakate und Kleider – oder die farblose Landschaft der eintönigen Seelen, die für einen Augenblick mit abgegriffenen Worten und verbrauchten Gesten an die Oberfläche kommt, um sogleich wieder auf den Grund der fundamentalen Dummheit menschlichen Ausdrucks zu sinken.
Revolution? Veränderung? Ich will nur eines wirklich und aus tiefster Seele: die bleiernen Wolken sollen sich verziehen, den Himmel nicht mehr grau einseifen, das Blau will ich wieder sehen zwischen ihnen, eine Wahrheit, sicher und klar, weil sie nichts ist noch will.