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Wann immer sie können, setzen sie sich vor den Spiegel. Sie reden mit uns und betrachten sich selbstverliebt. Bisweilen verlieren sie, wie dies Verliebten mitunter geschieht, den Gesprächsfaden. Mich mochten sie immer, denn meine ausgewachsene Abneigung gegen mein Erscheinungsbild ließ mich stets jedem Spiegel den Rücken kehren. So war ich – was sie instinktiv erkannten, da sie mich stets zuvorkommend behandelten – der geborene Zuhörer, einer, der ihrer Eitelkeit und ihrem Redezwang nie Einhalt gebot.

Insgesamt gesehen waren sie in Ordnung; im einzelnen betrachtet gab es darunter solche und solche. Für einen Ermittler von Durchschnittswerten hatten sie überaus erstaunliche Anwandlungen von Großmut und Zartgefühl, während sie für einen normalen Menschen eine kaum vorstellbare Niedertracht und Gemeinheit an den Tag legten. Erbärmlichkeit, Neid und Traumtänzerei bezeichnen nicht nur sie, sondern auch alles, was einfließt aus ihrem Milieu in das Werk wertvoller Menschen, die sich hin und wieder in die Niederungen dieser Kaffeehaussümpfe verirrten. (Bei Fialho[62] sind dies offenkundiger Neid, gemeine Grobheit und ein ekelerregender Mangel an Eleganz …)

Einige besitzen Witz, andere nur Witz, wieder andere existieren noch nicht. Wobei es zweierlei Kaffeehauswitze gibt, nämlich Scherze über Abwesende und Unverschämtheiten über Anwesende. Diese Art von Geistreichtun bezeichnet man für gewöhnlich nur als Flegelei. Nichts zeigt die Ärmlichkeit des Geistes deutlicher als die Tatsache, daß man einzig auf Kosten anderer Leute geistreich sein kann.

Ich kam, sah – und im Gegensatz zu ihnen siegte ich. Denn mein Sieg bestand im Sehen. Ich sah, daß sie ebenso sind wie alle anderen sozialen Gruppen niederer Natur: Hier in dem Haus, in dem ich ein Zimmer bewohne, habe ich die gleiche erbärmliche Seele gefunden, die sich mir in den Kaffeehäusern zeigte, abgesehen von der Vorstellung – und dafür sei den Göttern Dank! –, in Paris reüssieren zu können. Meine Vermieterin träumt in ihren kühnsten Momenten zwar von neuen Prachtstraßen in Lissabon, gegen das Ausland aber ist sie gefeit, und dies rührt mein Herz.

Ich bewahre von dieser Zeit im Grab des menschlichen Willens die Erinnerung an eine widerwärtige Langeweile und ein paar geistreiche Witze.

Man trägt diese Leute zu Grabe, und bereits auf dem Weg zum Friedhof ist es, als habe man ihre Vergangenheit im Kaffeehaus vergessen, denn dort ist es mit einem Mal still.

… und nie wird die Nachwelt von ihnen erfahren, sie bleiben für immer verborgen unter der schwarzen Masse der Siegesbanner, errungen in ihren wortreichen Schlachten.


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