Trauermarsch für Ludwig II., König von Bayern



Länger denn je verweilte heute der Tod an der Schwelle meiner Tür, mir seine Ware feilzubieten. Langsamer denn je breitete er Teppiche aus vor mir, Seide und Damast seines Trostes und seines Vergessens. Er pries sie lächelnd, ohne sich zu kümmern, ob ich sein Lächeln sah. Doch kaum war ich versucht zu kaufen, erklärte er mir, er verkaufe nichts. Er sei nicht gekommen, damit ich Gefallen fände an dem, was er mir zeige, sondern durch das, was er mir zeige, Gefallen an ihm. Die Teppiche, sagte er mir, seien wie jene, auf denen man ginge in seinem fernen Palast; die Seide sei von eben der Art, wie man sie in seinem Schattenschloß trage; und der prächtige Damast sei weniger prächtig als jener, der die Altäre seines Hofes jenseits der Welt schmücke.

Sanft löste er das Band, das mich an die nackte Schwelle meiner Heimstatt fesselte. »Dein Herd«, sagte er, »hat kein Feuer: was also willst du mit einem Herd?« »Dein Tisch«, sagte er, »hat kein Brot: wozu also nützt dir ein Tisch?« »Dein Leben«, sagte er, »hat niemanden, der es begleitet: mit wem also lockt dich das Leben?«

»Ich bin«, sagte er, »das Feuer der erloschenen Herde, das Brot der leeren Tische, der getreue Gefährte aller Einsamen und Unverstandenen. Der Glanz, an dem es der Welt fehlt, ist die Pracht meines dunklen Reiches. In ihm ermüdet die Liebe nie, denn sie strebt nicht nach Besitz noch verletzt sie, denn sie kann des Besitzes nie müde werden. Meine Hand legt sich leicht auf das Haar derer, die denken, und sie vergessen; meine Brust ist denen Stütze, die vergeblich hoffen, und sie schöpfen endlich Vertrauen.«

»Die Liebe zu mir kennt keine verzehrende Leidenschaft, keine rasende Eifersucht, kein trübendes Vergessen. Mich lieben ist wie eine Sommernacht, wenn die Bettler unter freiem Himmel schlafen wie Steine am Wegesrand. Über meine stummen Lippen kommt kein Sirenengesang und kein Wohlklang von Bäumen und Quellen; doch mein Schweigen heißt willkommen wie eine unbestimmte Musik, und meine Ruhe ist wohltuend wie die Wahrnehmung eines sanften Windes.«

»Was also«, fragte er, »bindet dich an das Leben? Die Liebe sucht dich nicht, der Ruhm fragt nicht nach dir, die Macht weiß nicht, wo du bist. Das Haus, das man dir vererbte, war eine Ruine. Das Land, das man dir überließ, verlor seine erste Frucht an den Frost und seine Verheißung an die Sonnenglut. Der Brunnen auf deinem Gut war stets trocken. Und noch bevor du sie sahst, verfaulten die Blätter in deinen Teichen; Unkraut bedeckte die Alleen und Wege, die deine Füße nie betraten.«

»In meinem Reich aber, in dem die Nacht Königin ist, wirst du Trost finden, denn es gibt dort keine Hoffnung und kein Vergessen, denn es herrscht dort kein Verlangen; du wirst Ruhe finden, denn dein Leben liegt hinter dir.«

Und er zeigte mir, wie fruchtlos die Hoffnung auf bessere Tage war, kannte eines Menschen Seele nicht schon von Geburt an gute Tage. Er zeigte mir, wie wenig Traum Trost ist, denn kaum ist man aus ihm erwacht, schmerzt das Leben um so mehr. Er zeigte mir, wie wenig Schlaf Ruhe ist, denn Trugbilder bewohnen ihn, Schatten von Dingen, Spuren unseres Handelns, totgeborene Wünsche, Treibgut vom Schiffbruch des Lebens.

Und solches sagend, legte er langsam, langsamer denn je, seine Teppiche zusammen, die meine Augen versuchten, seine Seide, die meine Seele begehrte, den Damast seiner Altäre, benetzt schon von meinen Tränen.

»Warum versuchen, wie die anderen zu sein, wenn du verdammt bist, du selbst zu sein? Warum lachen, wenn deine aufrichtige Freude falsch ist, denn sie kommt aus deinem Selbstvergessen? Wozu weinen, wenn du spürst, daß weinen unnütz ist, und du weinst, nicht weil deine Tränen dich trösten, sondern sie dich nicht trösten?«

»Bist du glücklich, wenn du lachst, ist dein Lachen mein Sieg; bist du glücklich, weil du vergessen hast, wer du bist, wie glücklich dann erst wirst du dort mit mir sein, wo du alles vergessen hast? Findest du wirkliche Ruhe nur im traumlosen Schlaf, welche Ruhe erst wirst du finden in meinem Bett, in dem aller Schlaf traumlos ist! Erhebst du dich bisweilen, weil du Schönheit siehst und dich und das Leben vergißt, wie hoch hinaus erst wirst du dich in meinem Palast erheben, dessen nächtliche Schönheit keinen Mißklang kennt, kein Alter und keinen Verfall; in meinen Gemächern, in denen kein Wind in die Vorhänge fährt, kein Staub sich über die Sessel legt, kein Licht Samt und Polster bleicht und keine Zeit das leere Weiß der Wände gilbt!«

»Komm in meine Zärtlichkeit, die unverbrüchliche; in meine Liebe, die immerwährende! Trink aus meinem Kelch, dem immervollen, jenen erlesenen Nektar, der weder müde noch trunken macht. Und betrachte vom Fenster meines Schlosses nicht Mondschein und Meer, die schön und daher unvollkommen sind, sondern die weite, mütterliche Nacht, den ungeteilten Glanz des tiefen Abgrunds!

In meinen Armen wirst du den Schmerzensweg vergessen, der dich zu ihnen führte. An meiner Brust wird die Liebe vergehen, die dich sie hat suchen lassen! Komm an meine Seite, nimm Platz auf meinem Thron, und sei auf ewig Herrscher über das Mysterium, Hüter des Grals, unentthronbar sollst du bestehen neben Göttern und Schicksal, im Nichts-Sein, ohne Diesseits und ohne Jenseits, ohne Mangel und ohne Überfluß, nichts wirst du brauchen.«

»Ich werde dein väterlicher Gefährte[81] sein, dein wiedergefundener Zwillingsbruder. Und sind mir all deine Ängste verbunden, und ist alles, wonach du vergeblich in dir suchtest, mir anvertraut, wirst du selbst dich in meinem mystischen Wesen verlieren, in meiner geleugneten Existenz, an meiner Brust, an der die Dinge verlöschen, die Seelen versinken und selbst die Götter vergehen.«


O König der Loslösung und des Verzichts, Herrscher des Todes und des Scheiterns, lebender Traum, strahlender Wanderer zwischen der Welt Ruinen und Straßen!

O König der Verzweiflung inmitten aller Pracht, schmerzensreicher Herr von Palästen, die nicht genügen, Meister feierlicher Gefolge und glänzender Feste, die das Leben nicht auszulöschen vermögen! …

O König, auferstanden aus Gräbern, der du kamst in Nacht und Mondlicht, dein Leben den Lebenden zu erzählen, Page entblätterter Lilien, kaiserlicher Herold beinerner Kälte!

O König, Hüter der Schlaflosigkeit, Ritter der Ängste, ruhmlos und unbeweibt Reisender auf Mondlichtstraßen, Herr über Wälder und Schluchten, stummer Schattenriß mit geschlossenem Visier, durch Täler ziehend, unverstanden in den Dörfern, verspottet auf den Märkten, verachtet in den Städten!

O König, vom Tod zu seinesgleichen erhoben, bleich und absurd, vergessen und verkannt, herrschend zwischen mattem Marmor und verblichenem Samt, auf seinem Thron an der Grenze des Möglichen, umgeben von seinem unwirklichen Hofstaat, ein Kreis aus Schatten, beschützt von seiner wundersamen Garde, geheimnisvoll und nicht vorhanden.


Bringt, ihr Pagen, Jungfrauen, Diener und Dienerinnen, bringt herbei die Pokale, Teller und Girlanden, bringt sie herbei für das Festmahl, zu dem der Tod lädt! Bringt sie, und kommt in Schwarz und mit Myrthen bekränzt!

Bringt Mandragora in den Pokalen, […] auf den Tellern, und Girlanden aus Veilchen, aus allen Blumen, die an Trauer gemahnen.

Der König begibt sich zum Gastmahl mit dem Tod in seinen alten Palast am See, in den Bergen, fern des Lebens und abgewandt der Welt.

Laßt Orchester aufspielen mit seltenen Instrumenten, deren bloßer Klang weinen macht. Kleidet die Diener in Livreen unbekannter Farbe, prächtig und schlicht wie die Katafalke der Helden.


Und ehe das Gastmahl beginnt, laßt durch die Alleen der weiten Gärten den langen mittelalterlichen Zug toten Purpurs ziehen, das große, stille Zeremoniell, wie Schönheit durch einen Alptraum.

Der Tod ist der Triumph des Lebens!

Durch den Tod leben wir, denn wir sind heute nur, weil wir für das Gestern gestorben sind. Durch den Tod hoffen wir, denn wir können an das Morgen nur glauben, weil uns der Tod des Heute sicher ist. Durch den Tod leben wir, wenn wir träumen, denn träumen heißt das Leben verneinen! Durch den Tod sterben wir, wenn wir leben, denn leben heißt die Ewigkeit verneinen! Der Tod leitet uns, der Tod sucht uns, der Tod begleitet uns. Alles, was wir haben, ist der Tod, alles, wonach uns verlangt, ist der Tod, der Tod ist alles, wonach uns sehnsüchtig verlangt.

Ein Hauch Aufmerksamkeit weht durch die Flügel des Palastes.

Schon naht er, mit dem Tod, den keiner sieht, und mit […], der nie eintrifft.

Herolde, stoßt in eure Hörner! Habt acht!


Deine Liebe zu geträumten Dingen war Verachtung für gelebte Dinge.


Jungfräulicher König, der die Liebe verachtete,Schattenkönig, der das Licht verschmähte,Traumkönig, der das Leben nicht wollte!


Unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Zimbeln und Pauken ruft die Finsternis dich zum Herrscher aus!


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