Deklaration der Differenz
Die Dinge von Staat und Stadt haben keine Macht über uns. Es ist uns einerlei, daß Minister und Höflinge die Staatsgeschäfte falsch verwalten. All dies geschieht vor unserer Haustür wie Schlamm an Regentagen. Wir haben nichts damit zu tun, soviel es auch mit uns zu tun haben mag.
Ebensowenig gehen uns große Erschütterungen an, wie Kriege oder Krisen rund um die Welt. Solange sie uns nicht ins Haus kommen, ist uns einerlei, an welche Tür sie klopfen. Dieses Verhalten scheint auf einer tiefen Geringschätzung anderen gegenüber zu beruhen, der Grund aber ist unsere skeptische Haltung zu uns selbst.
Wir sind weder gut noch barmherzig – nicht weil wir das Gegenteil wären, sondern weil wir weder das eine noch das andere sind.
Güte ist das Feingefühl roher Seelen. Sie interessiert uns als etwas, das sich in anderen Seelen und Denkweisen abspielt. Wir beobachten weder billigend noch mißbilligend. Unsere Aufgabe besteht darin, nichts zu sein.
Wir wären Anarchisten, wären wir in jene Klassen geboren, die sich als benachteiligt bezeichnen, oder in eine jener Klassen, aus der man auf- oder absteigen kann. Doch in Wirklichkeit sind wir im allgemeinen zwischen den verschiedenen Klassen und sozialen Gruppierungen geboren – fast immer in dem dekadenten Raum zwischen Aristokratie und (Groß)bürgertum, dem gesellschaftlichen Ort für Genies und Verrückte, mit denen man sympathisieren kann.
Handeln verwirrt uns, teils aus physischem Unvermögen, mehr noch aber, weil es unserer Moral widerstrebt. Handeln erscheint uns unmoralisch. Alles Denken erscheint uns herabgewürdigt, kaum verleiht man ihm mit Worten Ausdruck. Sie machen es zu einer fremden Sache, machen es denen verständlich, die es verstehen.
Unsere Sympathie für den Okkultismus und die geheimen Künste ist groß. Dennoch sind wir keine Okkultisten. Wir sind weder mit dem dazu erforderlichen Willen geboren noch mit der Geduld, ihn zum perfekten Handlanger von Magiern und Magnetiseuren heranzubilden. Aber wir sympathisieren mit dem Okkultismus, da er sich für gewöhnlich in einer Weise manifestiert, von der viele, die lesen, und selbst viele, die zu verstehen glauben, nichts verstehen. Sein geheimnisvolles Verhalten ist von hochmütiger Überlegenheit. Zudem ein schier unerschöpflicher Quell geheimnisvoller und erschreckender Empfindungen: Astrallarven, seltsame, mit seltsamen Leibern ausgestattete Wesen, die in ihren Tempeln mittels magischer Rituale heraufbeschworen werden, immaterielle Anwesenheiten, die unsere verschlossenen Sinne in der physischen Stille des inneren Klanges umschweben – all dies tröstet uns in Not und Dunkel mit klebriger, widerwärtiger Hand.
Aber wir sympathisieren nicht mit den Okkultisten, wenn sie als Heilsbringer und Menschenfreunde auftreten; dies nimmt ihnen ihr Geheimnis. Betätigt sich ein Okkultist im Astralbereich, tut er dies einzig um einer höheren Ästhetik willen und nicht etwa in der niedern Absicht, irgendwem Gutes zu tun.
Wir wissen es kaum, und doch juckt uns seit Urzeiten eine gewisse Sympathie für die Schwarze Magie, für die verbotenen Erscheinungsformen der transzendentalen Wissenschaft, für die Herren der Macht, die sich selbst der Verdammnis und der verkommenen Reinkarnation verkauft haben. Unsere Augen – die schwacher, unsicherer Wesen – verlieren sich mit weiblicher Hitze in der Theorie umgekehrter Rangstufen, in pervertierten Riten, in der finsteren Kurve der absteigenden, höllischen Hierarchie.
Ob wir wollen oder nicht, der Satan übt auf uns eine Anziehung aus wie der Mann auf das Weib. Die Schlange der materiellen Intelligenz hat sich um unser Herz gewickelt wie um den symbolischen Heroldsstab des Gottes, der übermittelt: Merkur, der Herr des Verstehens.
All jene unter uns, die keine Päderasten sind, wünschten, sie hätten den Mut, es zu sein. Unsere Unlust zu handeln verweiblicht unweigerlich. Unsere wahre Berufung als Hausfrauen und müßige Schloßherrinnen haben wir aufgrund einer sexuellen Verirrung in unserer jetzigen Inkarnation verfehlt. Obgleich wir absolut nicht daran glauben, schmeckt es nach blutiger Ironie, wenn wir vor uns tun, als glaubten wir daran.
All dies geschieht nicht aus Bosheit, sondern aus Schwäche. Sind wir für uns allein, beten wir das Böse an, nicht weil es das Böse ist, sondern weil es intensiver, stärker ist als das Gute; denn alles Intensive und Starke übt einen Reiz auf Nerven aus, die eigentlich die einer Frau hätten sein sollen. Pecca fortiter kann nicht für uns gelten, denn wir haben keine Kraft, nicht einmal die Kraft der Intelligenz, die einzige, die wir haben könnten. Daran denken, kräftig zu sündigen, mehr als das können wir nicht tun mit diesem strengen Diktum. Doch nicht einmal das ist uns allzeit möglich, denn unser Innenleben hat seine eigene Wirklichkeit, die uns bisweilen schmerzt, da sie wirklich ist. Daß Gesetze die Verknüpfung von Vorstellungen wie auch von allen übrigen geistigen Vorgängen steuern, spricht unserer angeborenen Disziplinlosigkeit hohn.