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8. 9. 1933


Hoch blüht in nächtlicher Einsamkeit ein anonymes Licht hinter einem Fenster. Die übrige Stadt liegt im Dunkel, nur ein schwacher Widerschein steigt verschwommen von den Straßen auf und läßt hier und da ein umgekehrtes, geisterblasses Mondlicht schweben. Im Schwarz der Nacht heben sich die Häuser, ihre vielen Farben oder Farbtöne kaum voneinander ab; nur undeutliche, scheinbar abstrakte Unterschiede durchbrechen die Regelmäßigkeit dieses dichten Beieinanders.

Ein unsichtbares Band verknüpft mich mit dem namenlosen Besitzer des Lichts. Es ist nicht der gemeinsame Umstand, daß wir beide wach sind: es kann nicht auf Gegenseitigkeit beruhen, denn mein Fenster ist dunkel, und er könnte mich niemals sehen. Es ist etwas anderes, etwas, das nur mich betrifft und ein wenig mit meinem Gefühl der Einsamkeit zu tun hat, das mit der Nacht und der Stille einhergeht und sich dieses Licht als Halt wählt, weil es der einzig vorhandene ist. Weil es leuchtet, erscheint die Nacht so dunkel. Weil ich wach bin und im Dunkel träume, erscheint das Licht so hell.

Alles, was existiert, existiert möglicherweise, weil etwas anderes existiert. Nichts ist, alles koexistiert: So und nicht anders ist es vielleicht. Ich spüre, daß ich jetzt nicht existierte – zumindest nicht so, wie ich existiere, mit meinem gegenwärtigen Bewußtsein von mir, das, weil es Bewußtsein und Gegenwart ist, in diesem Augenblick ganz und gar ich ist – wenn dieses Licht nicht leuchtete, dort, irgendwo, ein Leuchtturm, der keinen Weg weist, und mit dem scheinbaren Vorteil der Höhe. Ich fühle das, weil ich nichts fühle. Ich denke das, weil es nichts ist. Nichts, gar nichts, Teil der Nacht und der Stille und der Tatsache, daß ich wie sie nichtig, negativ und zwischenräumlich bin, Raum zwischen mir und mir, etwas, das ein Gott vergessen hat …


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