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6. 5. 1930


Für mich ist Metaphysik seit jeher eine Form latenten Wahnsinns. Kennten wir die Wahrheit, sähen wir sie; alles übrige ist System und Drumherum. Wir müssen uns mit der Unverständlichkeit des Universums begnügen; es verstehen wollen heißt weniger als Mensch sein, denn Mensch sein heißt wissen, daß man es nicht verstehen kann.

Man bringt mir den Glauben wie ein verschnürtes Paket auf einem befremdlichen Tablett. Ich soll es annehmen, aber nicht öffnen. Man bringt mir die Wissenschaft wie ein Messer auf einem Teller, um die Blätter eines Buches aufzuschneiden, dessen Seiten unbeschrieben sind. Man bringt mir den Zweifel wie Staub in einer Schachtel; doch wozu, wenn die Schachtel nur Staub enthält?

Ich schreibe, weil es mir an Wissen fehlt, und benutze die hehren, abstrakten Begriffe für Wahrheit, wie mein Gefühl es verlangt. Ist dieses Gefühl klar und bestimmend, spreche ich ganz selbstverständlich von den Göttern und bringe somit mein Gefühl ein in das Bewußtsein von einer vielfältigen Welt. Ist dieses Gefühl tief, spreche ich ganz selbstverständlich von Gott und fasse es somit in ein einziges Bewußtsein. Ist dieses Gefühl ein Gedanke, spreche ich ganz selbstverständlich vom Schicksal und treibe es somit in die Enge.

Bisweilen wird der Satzrhythmus nach Gott und nicht nach den Göttern verlangen; dann wieder werden sich die beiden Silben von »Götter« aufdrängen, und ich werde mit Worten das Weltall wechseln; ein andermal hingegen wird sich ein innerer Reim aufdrängen, eine Verlagerung des Rhythmus, ein Erschrecken des Gefühls, und je nachdem werden Polytheismus oder Monotheismus das Sagen haben. Die Götter sind eine Funktion des Stils.


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