Zenotaph
Keine Witwe, kein Waise legte ihm den Obolus in den Mund, als Fährgeld für Charon. Unseren Blicken verborgen sind die Augen, mit denen er den Styx überquerte und neunmal in den Wassern der Unterwelt sein Antlitz sich spiegeln sah, das wir nicht kennen. Der Name seines Schattens, der seither an den Ufern düsterer Flüsse umherirrt, ist für uns nur ein anderer Schatten.
Er starb für das Vaterland, ohne zu wissen wie noch warum. Sein Opfer war ruhmreich, da er es nicht als solches erkannte. Er gab sein Leben aus tiefster Seele, ließ sich leiten vom Instinkt und nicht von der Pflicht; von der Liebe zum Vaterland und nicht, weil er sich seines Vaterlandes bewußt war. Er verteidigte es, wie ein Mann seine Mutter verteidigt, deren Kind er vermöge der Geburt und nicht der Logik ist. Getreu dem Urgeheimnis dachte er weder an seinen Tod, noch wollte er ihn, sondern lebte ihn so instinktiv wie auch sein Leben. Der Schatten, dem er nun innewohnt, verbrüdert sich mit denen, die bei den Thermopylen fielen, im Fleisch dem Schwur treu, mit dem sie das Licht der Welt erblickten.
Er starb für sein Vaterland, wie die Sonne alle Tage aufgeht. Er war von Natur aus das, wozu ihn der Tod machen sollte.
Er fiel nicht als Sklave eines glühenden Glaubens, sie töteten ihn nicht im niederen Kampf für ein hohes Ideal. Frei vom Schimpf des Glaubens und der Schande der Menschenfreundlichkeit fiel er weder für eine politische Idee noch für die Zukunft der Menschheit oder eine künftige Religion. Weit entfernt vom Glauben an eine andere Welt, mit dem die Anhänger Mohammeds und die Jünger Christi sich selbst betrügen, sah er den Tod kommen, ohne in ihm auf Leben zu hoffen, sah das Leben vergehen, ohne auf ein besseres Leben zu hoffen.
Er ging so natürlich dahin wie Wind und Tag, seine Seele mit sich nehmend, die ihn von anderen unterschieden hatte. Er ging ein in den Schatten wie einer, der durch die Tür tritt, vor der er steht. Er starb für das Vaterland, die einzige über uns stehende Sache, die wir kennen und verstehen können. Weder das Paradies der Moslems und Christen noch das transzendente Vergessen der Buddhisten spiegelten sich wider in seinen Augen, als in ihnen die Flamme seines irdischen Lebens erlosch.
Er wußte nicht, wer er war, so wie auch wir nicht wissen, wer er ist. Er erfüllte seine Pflicht, ohne zu wissen, was er erfüllte. Ihn leitete, was die Rosen blühen läßt und das Sterben der Blätter schön macht. Das Leben kennt keinen besseren Grund und der Tod keinen besseren Lohn.
Nun durchwandert er gemäß dem Willen der Götter die lichtlosen Gefilde, geht an den Wehklagen des Kokytos vorüber und am Feuer des Phlegethon und hört in der Nacht den leichten Lauf des leichenblassen Lethestroms.
Er ist namenlos wie der Instinkt, der ihn tötete. Er dachte nicht, daß er für das Vaterland sterben würde; er starb für es. Er beschloß nicht, seine Pflicht zu erfüllen; er erfüllte sie. Da seine Seele namenlos war, ist es nur recht, daß wir nicht fragen, welcher Namen zu seinem Körper gehörte. Er war Portugiese; doch kein bestimmter Portugiese, und so steht er für den Portugiesen schlechthin.
Sein Platz ist nicht neben den Gründern Portugals, sie sind von anderer Statur und anderem Bewußtsein. Er paßt nicht in die Gesellschaft jener Halbgötter, deren Wagemut uns neue Seewege eröffnete und mehr Land einbrachte, als wir halten konnten.
Weder Statue noch Stein mögen erzählen, was war und wer »wir alle« war; da er das ganze Volk ist, soll dieses ganze Land sein Grab sein. Und wir sollten ihn in seiner Erinnerung begraben und ihm als Gedenkstein einzig sein eigenes Beispiel setzen.