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Weil vielleicht nicht alles falsch ist, Liebste, soll nichts uns heilen von der nahezu ekstatischen Lust zur Lüge.
Äußerstes Raffinement! Höchste Perversion!! Die absurde Lüge hat allen Reiz der Perversion, zugleich mit dem letzten, noch größeren Reiz der Unschuld. Die bewußt unschuldige Perversion – wer […] könnte es noch übertreffen an höchstem Raffinement? Die Perversion, die nicht einmal versucht, uns Lust zu verschaffen, und der es am Ungestüm fehlt, uns Schmerz zu bereiten, die zu Boden stürzt zwischen Lust und Schmerz, unnütz und absurd wie ein wertloses Spielzeug, mit dem sich ein Erwachsener amüsieren will!
Kennst du nicht, Wonnige, das Vergnügen am Kauf überflüssiger Dinge? Kennst du nicht die Freude an Wegen, die wir zerstreut irrtümlich einschlagen? Welches menschliche Tun ist so bunt schillernd wie das Nachahmen – […], das sein eigenes Wesen belügt und seinen eigenen Absichten widerspricht?
Wie erhebend, ein Leben zu vergeuden, das nützlich sein könnte, nie ein Werk zu vollenden, das unweigerlich schön würde, mitten auf dem sicheren Weg zum Sieg kehrtzumachen!
Ach, Liebste, der Glanz verschollener, nie wiedergefundener Werke, der Abhandlungen, die heute nur mehr Titel sind, der verbrannten Bibliotheken, der zerschlagenen Statuen!
Wie gesegnet mit Absurdem sind doch Künstler, die ein prachtvolles Werk verbrannten, oder jene, die – obgleich zu einem vollkommenen Werk fähig – mit Bedacht ein unvollkommenes schufen, oder gar die großen Dichter des Schweigens, die, im Wissen um ihre Fähigkeit zum Meisterwerk, vorzogen, es mit ihrer Entscheidung des Nie-Schreibens zu krönen! (Wenn es denn unvollkommen ist, sei’s drum!)
Wieviel schöner wäre die Mona Lisa, könnten wir sie nicht sehen! Und wenn jemand sie stehlen und verbrennen würde, was für ein Künstler er auch sei, er wäre weit größer als jener, der sie malte! Warum ist Kunst schön? Weil sie ohne Zweck ist. Warum ist Leben häßlich? Weil es ganz Ziel, Zweck und Absicht ist. All seine Wege führen uns von einem Punkt zum andern. Gäbe es doch einen Weg, der an einem Ort beginnt, von dem niemand aufbricht, und zu einem Ort führt, wohin niemand geht!
Die Schönheit der Ruinen? Ihr Zu-nichts-mehr-nütze-Sein.
Der Zauber der Vergangenheit? Unser Sich-an-sie-Erinnern, denn sich an sie erinnern heißt, sie Gegenwart werden lassen, was sie nicht ist noch sein kann – das Absurde, Liebste, das Absurde …
Und ich, der ich all dies sage – warum schreibe ich dieses Buch? Weil ich seine Unvollkommenheit erkenne. Geträumt wäre es vollkommen; geschrieben tritt seine Unvollkommenheit zutage; deshalb schreibe ich es.
Insbesondere aber, da ich ein Verfechter alles Zwecklosen, alles Absurden bin, […] – ich schreibe dieses Buch, um mich selbst zu belügen, um meine eigene Theorie zu verraten.
Und das Erhebendste an alldem, Liebste, ist der Gedanke, daß all dies womöglich nicht wahr ist, daß nicht einmal ich es für wahr halte.
Und wenn die Lüge beginnt, uns Vergnügen zu bereiten, dann laß uns die Wahrheit sagen, um sie zu belügen! Und wenn sie uns Angst macht, laß uns innehalten, damit das Leid uns nicht zum perversen Vergnügen verkomme …