Der Sensationist



In dieser Dämmerung geistiger Disziplinen, in der aller Glaube stirbt und die Kulte verstauben, sind unsere Wahrnehmungen die einzige Wirklichkeit, die uns bleibt. Der einzige Zweifel, der uns beschäftigt, das einzige Wissen, das uns genügt, beruht auf unserer Wahrnehmung.

Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, daß wir unserem Leben mit einem verfeinert dekorativen Interieur einen höheren und helleren Sinn geben können. Könnte mein Leben zwischen Gobelins des Geistes gelebt werden, ich hätte keine Abgründe zu beklagen.

Ich gehöre zu einer Generation – oder eher zu einem Teil einer Generation –, die alle Achtung für die Vergangenheit verloren hat und allen Glauben oder alle Hoffnung in die Zukunft. Daher leben wir die Gegenwart so gierig und hungrig wie jemand, dessen einziges Haus sie ist. Und da wir in unseren Wahrnehmungen, und vor allem in unseren Träumen, die nichts als unnütze Wahrnehmungen sind, eine Gegenwart finden, die weder an Vergangenes noch an Künftiges erinnert, lächeln wir unserem Innenleben zu und bekunden der quantitativen Wirklichkeit der Dinge hochmütig gähnend unser Desinteresse.

Vielleicht sind wir gar nicht so viel anders als jene, die im wirklichen Leben nur an ihr Vergnügen denken. Doch ist die Sonne unserer egoistischen Belange im Untergang begriffen, und unser Hedonismus erkaltet in den Farben der Dämmerung und des Widerspruchs.

Wir sind Genesende. Wesen, die weder eine Kunst noch ein Handwerk erlernen, nicht einmal die Kunst, sich am Leben zu freuen. Jedem längeren Beisammensein abgeneigt, werden uns für gewöhnlich selbst unsere besten Freunde nach einer halben Stunde langweilig; uns verlangt nur nach ihnen, wenn uns der entsprechende Gedanke kommt, und die besten gemeinsamen Stunden sind die, in denen wir schlicht davon träumen, mit ihnen zusammenzusein. Ich weiß nicht, ob dies ein Zeichen mangelnder Freundschaft ist. Vielleicht nicht. Doch eines ist sicher: Was wir am meisten lieben oder zu lieben glauben, erlebt nur in unseren Träumen seine volle Wertschätzung.

Wir mögen kein Theater. Wir schätzen Schauspieler und Tänzer gering. Jedes Schauspiel ist eine plumpe Nachahmung dessen, was schlicht geträumt werden sollte.

Gleichgültig gegen anderer Leute Meinung – nicht von Natur aus, sondern aufgrund einer Erziehung unserer Gefühle, zu der uns unterschiedlich schmerzliche Erfahrungen im allgemeinen zwingen –, sind wir doch stets höflich gegen andere, ja, mögen sie sogar, bekunden somit ein gleichgültiges Interesse, denn jedermann ist interessant und umwandelbar in einen Traum, in andere Personen […]

Unfähig zu lieben, ermüdet uns bereits der Gedanke an die Worte, die wir äußern müßten, damit man uns liebt. Doch wer von uns möchte schon geliebt werden? Renés on le fatiguait en l’aimant[86] ist nicht wirklich unsere Devise. Die bloße Vorstellung, geliebt zu werden, ermüdet uns, ermüdet uns beunruhigend.

Mein Leben ist ein anhaltendes Fieber, ein nicht zu stillender Durst. Das wirkliche Leben setzt mir zu wie ein heißer Tag. Und es tut dies auf eine fast niederträchtige Weise.


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