schätziger, doch sonderbarerweise wurde er plötzlich selber völlig gleichgültig gegen die Meinung irgendeines Menschen; dieser Umschwung hatte sich irgendwie in einem einzigen Augenblick, in einer einzigen Sekunde vollzogen. Hätte er nur ein wenig nachdenken wollen, er wäre bestimmt erstaunt gewesen, daß er zu diesen Leuten vor einer Minute noch so hatte sprechen und ihnen sogar seine Gefühle hatte aufdrän-gen können. Woher kam bloß dieser Gefühlsumschwung? Wären jetzt im Zimmer plötzlich nicht Polizeibeamte, son-dern seine nächsten Freunde gewesen, er hätte für sie wohl kein einziges menschliches Wort gefunden, so sehr war sein Herz mit einemmal verödet. Das düstere Gefühl qualvoller, endloser Einsamkeit und Entfremdung wurde unversehens seiner Seele bewußt. Nicht die Niedrigkeit seiner Herzens-ergüsse vor Ilja Petrowitsch, nicht die Niedrigkeit, die in dem Triumph des Leutnants über ihn lag, hatten ihm plötz-lich das Herz so verwandelt. Oh, was kümmerte ihn jetzt die eigene Gemeinheit, was gingen ihn all diese ehrgeizigen Bestrebungen an, die Leutnants, deutschen Weiber, Geldfor-derungen, Ämter und so weiter und so weiter! Wäre er in diesem Augenblick sogar zum Tod durch Verbrennen verur-teilt worden, er hätte sich nicht gerührt, hätte kaum das Ur-teil aufmerksam angehört. In ihm war etwas vorgegangen, das ihm völlig unbekannt und neu war, etwas Plötzliches, noch nie Erlebtes. Er verstand nicht nur, sondern empfand auch klar, fühlte mit aller Kraft der Empfindung, daß er sich, ganz abgesehen von sentimentalen Weitschweifigkeiten wie vorhin, überhaupt mit nichts mehr an die Leute in diesem Polizeirevier wenden durfte, selbst wenn sie alle seine leib-lichen Brüder und Schwestern gewesen wären und nicht Polizeioffiziere; er spürte, daß er in gar keinem Falle auch nur den geringsten Anlaß gehabt hätte, sich an sie zu wenden. Noch nie hatte er bis zu dieser Minute eine ähnlich sonder-bare und entsetzliche Empfindung gehabt. Und was am qual-vollsten war – es handelte sich hier mehr um eine Emp-findung als um ein Wissen, ein Erkennen; nein, um eine unmittelbare Empfindung, die quälendste von allen, die er bisher in seinem Leben erfahren hatte.

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