verzweifelt. Und dann tröstet sie sich wieder; sie hofft auf Sie; sie sagt, Sie seien jetzt ihre Hilfe, und sie werde irgend-wo ein wenig Geld aufnehmen, mit mir in ihre Heimatstadt fahren und dort ein Pensionat für vornehme Mädchen er-öffnen; ich soll dort die Aufsicht führen, und dann werde für uns ein ganz neues, herrliches Leben anfangen; und sie küßt mich, umarmt mich, tröstet mich, und sie glaubt ja so fest an diese Phantasien, so fest! Kann ich ihr denn da wider-sprechen? Heute wäscht sie den ganzen Tag, macht sauber, flickt; mit ihren schwachen Kräften hat sie selber den Wasch-trog ins Zimmer geschleppt; sie war ganz außer Atem und fiel nur so aufs Bett; und am Vormittag sind wir beide noch auf den Markt gegangen, um Schuhe für Poljetschka und Lena zu kaufen; denn die Schuhe der Kinder sind schon ganz zerfetzt; nur reichte das Geld, das wir ausgerechnet hatten, nicht; es fehlte sehr viel, und sie hatte so hübsche Schuhe aus-gesucht ... sie hat nämlich Geschmack, Sie kennen sie nur nicht ... Dort im Laden fing sie vor den Verkäufern zu wei-nen an, weil das Geld nicht reichte ... Ach, es war ein trau-riger Anblick.«

»Da ist es verständlich, wenn Sie ... dieses Leben führen«, meinte Raskolnikow mit bitterem Lächeln.

»Haben Sie etwa kein Mitleid mit ihr? Kein Mitleid?« rief Sonja. »Ich weiß doch, daß Sie Ihr letztes Geld hergegeben haben, ohne daß Sie auch nur eine Ahnung von ihr hatten! Und wenn Sie alles wüßten, ach du mein Gott! Und wie oft, wie oft hat sie um mich Tränen vergossen! Noch vor acht Tagen! Ach, ich bin ... eine Woche vor seinem Tod! ... Ich war so grausam! Und so oft, so oft war ich das! Ach, wie weh hat es mir getan, sooft ich heute daran gedacht habe!«

Sonja rang die Hände, während sie das sagte, so sehr schmerzte sie die Erinnerung.

»Sie sind grausam gewesen?«

»Ja, ich, ich! Ich kam damals zu ihnen«, sprach sie weinend weiter, »und da sagte der Verstorbene zu mir: ,Lies mir vor, Sonja, ich habe Kopfschmerzen, lies mir vor ... dort liegt das Buch'; es war irgendein Buch, das er von Andrej Semjo-nytsch bekommen hatte, von Lebesjatnikow; der wohnt auch

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