anderen für ungebildete Kerle und Lümmel und verachte-ten sie voll Hochmut; doch Raskolnikow vermochte seine Gefährten nicht so anzusehen; er erkannte deutlich, daß diese ungebildeten Kerle in vielem weit klüger waren als die Polen. Es gab auch einige Russen, die das einfache Volk zu-tiefst verachteten – einen ehemaligen Offizier und zwei Se-minaristen; Raskolnikow sah auch ihren Irrtum.

Man liebte ihn nicht, und alle wichen ihm aus. Am Ende fingen sie sogar an, ihn zu hassen. Warum? Er wußte es nicht. Leute, die weit größere Verbrecher waren als er, verachteten ihn, lachten ihn aus und spotteten über seine Tat.

»Du bist ein gnädiger Herr!« sagten sie zu ihm. »Wozu hast du dir mit dem Beil zu schaffen gemacht? Das ist keine Herrensache!«

In der zweiten Woche der Großen Fasten kam an ihn die Reihe, sich gemeinsam mit den Insassen seiner Abteilung für die Beichte und Kommunion vorzubereiten. Er ging in die Kirche und betete mit den andern. Auf einmal kam es zu einem Streit – weshalb wußte er selbst nicht. Alle fielen plötz-lich wütend über ihn her.

»Du bist gottlos! Du glaubst nicht an Gott!« schrien sie ihm zu. »Dich sollte man erschlagen!«

Noch nie hatte er mit ihnen über Gott oder über den Glauben gesprochen, dennoch wollten sie ihn als einen Gott-losen umbringen; er schwieg und entgegnete nichts. Ein Zwangsarbeiter stürzte sich in völliger Raserei auf ihn; Ras-kolnikow erwartete ihn ruhig und schweigend; er zuckte mit keiner Wimper und verzog keine Miene. Ein Wachsoldat konnte noch rechtzeitig zwischen sie treten – sonst wäre es zu einem Blutvergießen gekommen.

Unlösbar war für ihn noch eine weitere Frage: warum hat-ten alle Sonja so liebgewonnen? Sie buhlte doch nicht um ihre Gunst; die Leute begegneten ihr selten, meist nur an den Arbeitsplätzen, wenn sie für eine Minute kam, um Raskolni-kow zu sehen. Indes kannten sie schon alle; sie wußten auch, daß sie ihm nachgereist war, wußten, wie und wo sie lebte. Sie gab ihnen kein Geld, sie erwies ihnen keine besonderen Gefälligkeiten. Nur einmal, zu Weihnachten, hatte sie für

- 697 -

Загрузка...