Lagerhäusern am Ufer des Irtysch. Über sich selbst schrieb Sonja, daß es ihr gelungen sei, in der Stadt bereits einige Bekannte und Gönner zu finden; sie beschäftige sich mit Näh-arbeiten, und da es in der Stadt fast keine Modistinnen gebe, sei sie in vielen Häusern schon geradezu unentbehrlich ge-worden; allerdings erwähnte sie nicht, daß durch ihre Ver-mittlung auch Raskolnikow die Protektion seiner Vorgesetzten genoß, so daß ihm zum Beispiel leichtere Arbeiten zuge-wiesen worden waren und dergleichen mehr. Schließlich kam die Nachricht – Dunja hatte schon Sonjas letzten Briefen eine gewisse Unruhe und Sorge angemerkt –, daß er allen Menschen aus dem Wege gehe, daß die Zwangsarbeiter im Gefängnis ihn nicht leiden könnten und daß er ganze Tage schweige und sehr bleich geworden sei. Endlich, in ihrem letz-ten Brief, schrieb Sonja, er sei ernstlich erkrankt und liege im Gefangenenhospital ...

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Er war schon lange krank gewesen; aber nicht die Schrek-ken seines Daseins als Sträfling, nicht die Strapazen der Arbeit, nicht die schlechte Ernährung, nicht der kahlrasierte Kopf, nicht die zerfetzte Kleidung hatten ihn gebrochen. Oh! was kümmerte er sich um all diese Qualen und Martern! Im Gegenteil, er freute sich über die Arbeit: wenn er sich bis zur Erschöpfung müde gearbeitet hatte, konnte er wenigstens einige Stunden ruhig schlafen. Und was bedeutete ihm das Essen – diese dünne Kohlsuppe mit den Küchenschaben darin? Früher, als Student, hatte er oft nicht einmal das gehabt. Seine Kleidung war warm und paßte zu seinem jetzigen Leben. Die Ketten spürte er gar nicht. Und wie hätte er sich seines rasierten Kopfes und seiner zweifarbigen Jacke schä-men sollen? Vor wem denn? Vor Sonja? Sonja fürchtete ihn, und er sollte sich vor ihr schämen?

Aber wie kam das? Er schämte sich tatsächlich vor Sonja und quälte sie dafür mit seinem geringschätzigen, unfreund-lichen Verhalten. Doch er schämte sich nicht seines rasierten

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