ging zu ihr hin und sagte: »Sie kommt! Ich bin ihr auf der Straße begegnet!« Ihre Mutter drückte sie neben sich auf die Knie. Durch die Leute zwängte sich jetzt leise und schüchtern ein Mädchen, und ihr plötzliches Erscheinen in diesem Zim-mer, in dieser Bettelarmut, unter diesen Lumpen, angesichts des Todes und der Verzweiflung, war seltsam. Auch sie trug erbärmliches Zeug; ihre Kleidung war keinen Groschen wert; aber sie war nach der Art der Straßenmädchen aufgeputzt, nach dem Geschmack und den Regeln, die sich in ihrer be-sonderen Welt zu einem klar und schmachvoll zur Schau ge-tragenen Zweck herausgebildet haben. Sonja blieb unmittelbar vor der Schwelle im Flur stehen, überschritt sie aber nicht und blickte wie verloren vor sich hin, ohne sich irgendwelcher Dinge bewußt zu werden. Ebensowenig dachte sie an ihr aus vierter Hand gekauftes, hier ziemlich anstößig wirkendes bun-tes Seidenkleid mit der überlangen, lächerlichen Schleppe, an ihre riesenhafte Krinoline, die die ganze Tür ausfüllte, an ihre hellen Schuhe, an den kleinen Sonnenschirm, den sie nachts nicht brauchte, den sie aber mitgenommen hatte, und an den komischen runden Strohhut mit der grellen, feuerfarbenen Feder. Unter diesem knabenhaft schief aufgesetzten Hut sah ein mageres, blasses, erschrecktes Gesichtchen hervor, mit offenem Mund und entsetzensstarren Augen. Sonja war von zierlichem Wuchs, etwa achtzehn Jahre alt, eine magere, aber recht hübsche Blondine mit auffallenden blauen Augen. Starr blickte sie auf das Bett, auf den Priester; auch sie war atemlos vom raschen Gehen. Endlich schienen das Zischeln und einige Worte aus der Menge zu ihr gedrungen zu sein. Sie blickte zu Boden, tat einen Schritt über die Schwelle und stand nun im Zimmer, aber immer noch dicht bei der Tür.

Die Beichte und die Kommunion waren zu Ende. Katerina Iwanowna trat aufs neue an das Bett ihres Mannes. Der Geistliche tat einen Schritt zur Seite und wollte im Weggehen Katerina Iwanowna zwei Worte sagen, um sie aufzurichten und zu trösten.

»Und was mache ich mit denen hier?« unterbrach sie ihn schroff und gereizt, während sie auf die Kleinen wies.

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