Segen austeilte und sich verabschiedete, mit einem seltsamen Blick an. Raskolnikow trat nach der Seelenmesse auf Sonja zu. Sie nahm plötzlich seine beiden Hände und neigte den Kopf an seine Schulter. Diese kurze freundschaftliche Ge-bärde erschütterte Raskolnikow geradezu und verwunderte ihn. Wie, war das überhaupt möglich? Sie hegte nicht den geringsten Abscheu, nicht den geringsten Ekel vor ihm; ihre Hand hatte nicht ein bißchen gezittert? Was für eine uner-meßliche Selbsterniedrigung! Jedenfalls faßte er es so auf. Sonja sprach nichts. Raskolnikow drückte ihr die Hand und ging. Wäre es ihm möglich gewesen, in diesem Augenblick irgendwohin zu gehen und allein zu bleiben, wäre es auch für das ganze Leben, er hätte sich glücklich geschätzt. Aber die Sache war die, daß er in letzter Zeit zwar fast immer allein war, aber trotzdem nie das Gefühl hatte, allein zu sein. So war er schon vor die Stadt gegangen, auf die Landstraße gekommen, einmal sogar in ein kleines Wäldchen; aber je ein-samer die Gegend war, desto stärker hatte sich seiner die Empfindung bemächtigt, daß irgend etwas ihm nahe sei und ihn beunruhige; es war nichts Schreckliches, aber etwas, das ihn belästigte, so daß er möglichst schnell in die Stadt zurück-ging, sich unter die Menge mischte, in Gasthäuser ging, in Schenken, auf den Trödelmarkt oder auf den Heuplatz. Hier fühlte er sich gewissermaßen freier, sogar einsamer. In einer Garküche wurden einmal gegen Abend Lieder gesungen; er saß eine geschlagene Stunde lang da und lauschte, und er ent-sann sich später, daß ihm das sogar angenehm gewesen war. Doch zuletzt wurde er wieder unruhig, als quälten ihn plötz-lich Gewissensbisse. Da sitze ich und höre mir Lieder an; habe ich denn nichts Wichtigeres zu tun? fragte er sich. Übrigens ahnte er im gleichen Augenblick, daß nicht allein das ihn be-unruhigte; da war etwas, das eine sofortige Entscheidung for-derte, das er aber weder in klare Gedanken fassen noch in Worte kleiden konnte. All das hatte sich zu einem unent-wirrbaren Knäuel verschlungen. Nein, ein Kampf wäre bes-ser! Meinethalben mit Porfirij ... oder mit Swidrigailow ... Nur möglichst rasch irgendeine neue Herausforderung, ein Angriff von irgend jemandem ... Ja! Ja! dachte er. Er ver-

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