erfahren. Jedenfalls erkannte Dunja, daß Pulcheria Alexan-drownas Verstand gelitten haben mußte.

Zweimal geschah es übrigens, daß Pulcheria Alexandrowna selbst dem Gespräch eine Wendung gab, die es eigentlich un-möglich machte zu antworten, ohne zu erwähnen, wo Rodja sich aufhalte; als daraufhin die Antworten notgedrungen unbefriedigend und verdächtig ausfielen, wurde sie ganz traurig, düster und schweigsam, was sehr lange Zeit anhielt. Dunja sah schließlich ein, daß es schwer war, ständig zu lügen und zu erfinden, und so entschied sie, daß es besser sei, über gewisse Punkte völlig zu schweigen; indessen wurde es im-mer klarer und offenkundiger, daß die arme Mutter etwas Entsetzliches argwöhnte. Dunja entsann sich unter anderem der Worte ihres Bruders, daß die Mutter sie in der Nacht vor jenem letzten schicksalsschweren Tag, also nach der Szene mit Swidrigailow, im Schlaf hatte sprechen hören – hatte sie da-mals vielleicht irgend etwas verstehen können? Oft, manchmal nach Tagen und sogar Wochen finsteren, mürrischen Schwei-gens und wortloser Tränen, wurde die Kranke in fast hysterischer Weise lebhaft und begann plötzlich laut und fast ohne Unterbrechung von ihrem Sohn zu sprechen, von ihren Hoffnungen, von der Zukunft ... Diese Phantasien waren bisweilen sehr merkwürdig. Man lenkte sie ab, man stimmte ihr bei – und sie selbst erkannte vielleicht am deutlichsten, daß man ihr nur beipflichtete, um sie abzulenken, aber sie redete dennoch ...

Fünf Monate, nachdem sich der Verbrecher gestellt hatte, wurde das Urteil über ihn gefällt. Rasumichin besuchte ihn im Gefängnis, sobald das nur möglich war, ebenfalls Sonja. Schließlich kam die Trennung. Dunja versicherte ihrem Bru-der, daß sie sich nicht für immer trennten; Rasumichin tat desgleichen. In Rasumichins jungem, hitzigem Kopf hatte sich der Plan festgesetzt, womöglich in den nächsten drei, vier Jahren wenigstens den Grundstock eines künftigen Ver-mögens zu schaffen, wenigstens einiges Geld zu sparen und dann nach Sibirien überzusiedeln, wo der Boden in jeder Hinsicht reich war und wo es nur wenig Arbeiter, wenig Menschen und wenig Kapital gab; dort wollte er sich in jener

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