einem weißen Tüllkleid, die wie aus Marmor gemeißelten Hände über der Brust gefaltet. Aber ihr gelöstes hellblondes Haar war naß; ein Kranz von Rosen lag auf ihrem Kopf. Das strenge, schon erstarrte Profil ihres Gesichts schien eben-falls aus Marmor gemeißelt zu sein, doch das anklagende Lächeln, das ihre fahlen Lippen umspielte, war erfüllt von einem unkindlichen, namenlosen Jammer. Swidrigailow kannte das Mädchen; kein Heiligenbild, keine brennenden Kerzen standen an ihrem Sarg, und man hörte keine Gebete. Sie hatte Selbstmord begangen – sie war ins Wasser ge-sprungen. Sie zählte erst vierzehn Jahre, aber ihr Herz war schon gebrochen, und sie hatte selbst Hand an sich gelegt, aus Kummer über eine Kränkung, die dieses junge, kindliche Ge-müt entsetzt und verstört hatte, die ihre engelreine Seele mit unverdienter Schmach beschmutzt und ihr den letzten Schrei der Verzweiflung abgerungen hatte, einen ungehörten und frech verhöhnten Schrei in finsterer Nacht, im Dunkel, in der Kälte, im feuchten Tauwetter, als der Wind heulte ...

Swidrigailow kam zu sich, stand auf und ging zum Fen-ster. Er tastete nach dem Fenstergriff und öffnete es. Der Wind drang in wildem Ungestüm in das schmale Kämmerchen und schien ihm das Gesicht und die nur mit dem Hemd bekleidete Brust mit kaltem Reif zu überziehen. Unter dem Fenster lag wohl wirklich eine Art Garten, offenbar ebenfalls ein Vergnügungsgarten; wahrscheinlich wurde auch hier unter-tags von einem Chor gesungen, und man servierte Tee auf den kleinen Tischen. Jetzt spritzten Regentropfen von den Bäumen und Sträuchern durchs Fenster; es war finster wie in einem Keller, so daß man nur mit Mühe die einzelnen Gegenstände als dunkle Flecke zu unterscheiden vermochte. Swidrigailow beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und starrte nun schon fünf Minuten lang unver-wandt in dieses Dunkel. In der finsteren Nacht krachte plötz-lich ein Kanonenschuß, gleich darauf ein zweiter.

Ah, das Signal! Das Wasser steigt! dachte er. Gegen Mor-gen wird es in den tiefer gelegenen Stadtteilen die Straßen überfluten und die Keller und Souterrains überschwemmen; die Kellerratten kommen hervor, und in Regen und Sturm

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