ten für einen eigenen Weg Rußlands – bei beiden erkannte er Richtiges und Falsches. Im redaktionellen Vorspann zu seiner Zeitschrift erläuterte er sein weltanschauliches Programm, das Potschwennitschestwo (etwa »Bodenständigkeit«, »Bodenhaf-tigkeit«), von dem in Zukunft auch sein künstlerisches Schaffen geprägt sein sollte: »Es ist unsere Aufgabe, eine neue, eigene, unserem Wesen entsprechende Form zu schaffen, die aus unse-rem Boden (potschwa), dem Geist und den Prinzipien unseres Volkes kommt.« Wie die Westler sieht Dostojewskij die Not-wendigkeit der petrinischen Reformen für Rußland ein, aber sie seien teuer erkauft worden: um den Preis einer Spaltung des russischen Volks in eine kleine Intellektuellenschicht und den Großteil der Bevölkerung. Die Intelligenzija habe sich der Basis entfremdet, ihre russische Identität verloren und durch die un-kritische Übernahme fremder kultureller Paradigmen ersetzt. Diese Spaltung müsse nun überwunden werden: »Wir ahnen voraus..., daß der Charakter unserer zukünftigen Tätigkeit in höchstem Grade allgemeinmenschlich sein muß; daß die russi-sche Idee vielleicht die Synthese aller der Ideen sein wird, die Europa in seinen einzelnen Nationalitäten mit solchem Nach-druck, mit solcher Mannhaftigkeit entwickelt, daß vielleicht alles Feindliche in diesen Ideen seine Versöhnung und seine weitere Entwicklung im russischen Volkstum finden wird.« Mit dem Begriff der Bodenständigkeit will Dostojewskij nicht nur die Rückbesinnung auf die eigenen, russischen formenden Kräfte ausdrücken, sondern auch vor der Gefahr einer »Kopflastigkeit« warnen: der Mensch könne »nicht allein von den Kräften des Verstandes leben«, er brauche auch »eine Beziehung zu den tieferen, naturhaften Schichten des Seins« (L. Müller).

Die Zeitschrift war außerordentlich erfolgreich sowohl ihres ideologischen Programms als auch ihres literarischen Niveaus wegen, nicht zuletzt durch Dostojewskijs eigene Beiträge, v. a. die Aufzeichnungen aus einem toten Hause. So schien auch seine Existenz gesichert, ja er konnte sogar eine erste Auslandsreise finanzieren (1862), die ihren feuilletonistischen Niederschlag in den Winterlichen Bemerkungen über sommerliche Eindrücke (1863) fand. Doch dann entzog ihm das Verbot der Zeitschrift 1863 wegen eines von der Zensur als polenfreundlich mißver-

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