einem anderen, unvergleichlich größeren Leid erfüllt als von der Angst um sich selbst. Sie litt unerträgliche Qualen.

»Hier ist Ihr Brief«, sagte sie und legte das Schreiben auf den Tisch. »Ist das denn möglich, was Sie darin ausführen? Sie spielen auf ein Verbrechen an, das mein Bruder begangen haben soll. Diese Anspielungen sind allzu deutlich, als daß Sie es wagen könnten, sich jetzt herauszureden. Aber Sie müssen wissen, daß ich schon vorher von diesem dummen Märchen gehört habe und kein einziges Wort davon glaube! Das ist ein abscheulicher und zugleich lächerlicher Verdacht. Ich kenne die Geschichte und weiß, woher diese Verleumdung stammt und wie sie entstanden ist. Sie können keine Beweise haben. Aber Sie haben versprochen, mir Beweise zu liefern – also reden Sie! Aber Sie sollen im voraus wissen, daß ich Ihnen nicht glaube! Ich glaube Ihnen nicht! ...«

Dunjetschka hatte das alles hastig hervorgesprudelt, und für einen Augenblick war ihr das Blut ins Gesicht ge-stiegen.

»Wenn Sie mir nicht bereits geglaubt hätten, wie hätten Sie es dann gewagt, allein zu mir zu kommen? Weshalb sind sie gekommen? Nur aus Neugier?«

»Quälen Sie mich nicht, sprechen Sie, sprechen Sie!«

»Ich muß schon sagen, Sie sind ein mutiges Mädchen. Bei Gott, ich dachte, Sie würden Herrn Rasumichin bitten, Sie zu begleiten. Aber er war weder bei Ihnen noch irgendwo in Ihrer Nähe; ich habe genau geschaut ... Das ist kühn von Ihnen; Sie wollten also Rodion Romanytsch schonen. Ach, alles an Ihnen ist göttlich ... Was aber Ihren Bruder angeht, was soll ich Ihnen da sagen? Sie haben ihn ja eben selbst ge-sehen ... Was halten Sie davon?«

»Sie stützen sich doch nicht etwa allein darauf?«

»Nein, nicht darauf, sondern auf seine eigenen Worte. Sehen Sie, er kam zwei Abende hintereinander zu Sofja Semjonowna. Ich habe Ihnen gezeigt, wo die beiden saßen. Er legte ihr eine vollständige Beichte ab. Er ist der Mörder. Er hat die alte Beamtenwitwe erschlagen, die Wucherin, bei der er selbst Sachen verpfändet hatte; er erschlug auch ihre Schwester, eine Händlerin namens Lisaweta, die zufällig zur

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