hielten wie jetzt! Und daß ich so lange schon weine, liegt daran, daß mein Mutterherz ein Unglück vorausahnte. Als ich dich zum erstenmal wiedersah, weißt du noch, am selben Abend, da wir hier angekommen waren, erkannte ich alles an deinem Blick, und mein Herz zitterte; und als ich dir heute die Tür öffnete, sah ich dich an und dachte: Offenbar ist die Schicksalsstunde gekommen. Rodja, Rodja, du verreist doch nicht gleich?«

»Nein.«

»Kommst du noch einmal wieder?«

»Ja ... ich komme wieder.«

»Rodja, sei mir nicht böse, ich wage ja gar nicht dich aus-zufragen. Ich weiß, daß ich es nicht darf; aber sag mir doch, sag es mir nur in zwei kurzen Worten: fährst du weit weg?«

»Sehr weit.«

»Und was erwartet dich dort? Eine Anstellung? Eine Kar-riere?«

»Was Gott gibt ... Nur beten Sie für mich!«

Raskolnikow ging zur Tür, doch die Mutter klammerte sich an ihn und sah ihm mit einem verzweifelten Blick in die Augen. Ihr Gesicht war vor Entsetzen verzerrt.

»Genug, Mama!« sagte Raskolnikow. Er bereute zutiefst, daß er seiner Eingebung gefolgt und hierhergekommen war.

»Es ist doch nicht für immer? Es ist doch noch nicht für immer? Du kommst doch wieder? Morgen?«

»Ich komme wieder, ich komme wieder, leben Sie wohl.«

Endlich konnte er sich losreißen.

Der Abend war frisch, aber warm und klar; das Wetter hatte sich schon am Vormittag aufgeheitert. Raskolnikow ging in seine Wohnung; er war in Eile. Er wollte alles noch vor Sonnenuntergang zu Ende bringen und mochte vorher nie-mandem mehr begegnen. Während er zu seinem Zimmer hinaufstieg, bemerkte er, daß Nastasja von ihrem Samowar aufblickte und ihm unverwandt nachsah.

Es wird doch niemand bei mir sein? überlegte er. Voll Abscheu dachte er an Porfirij. Doch als er sein Zimmer er-reicht und die Tür geöffnet hatte, erblickte er Dunjetschka. Sie saß ganz allein in tiefem Sinnen da und schien schon

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