seine Seele und machte ihm das Herz weich. Er widersetzte sich dieser Regung nicht; zwei Tränen rollten aus seinen Augen und blieben an den Wimpern hängen.

»Du wirst mich also nicht verlassen, Sonja?« fragte er endlich und blickte sie beinahe hoffnungsvoll an.

»Nein, nein; niemals, unter keinen Umständen!« rief Sonja. »Ich werde dir folgen, überallhin folge ich dir! O Gott! ... Ach, ich Unglückliche! ... Warum, warum nur habe ich dich nicht eher gekannt? Weshalb bist du nicht früher gekommen? O Gott!«

»Jetzt bin ich ja gekommen.«

»Jetzt! Oh, was sollen wir jetzt machen! ... Gemeinsam, gemeinsam!« wiederholte sie, als hätte sie alles andere verges-sen, und wiederum umarmte sie ihn, »gemeinsam mit dir gehe ich nach Sibirien!«

Plötzlich traf es ihn wie ein Schlag; das haßerfüllte, fast anmaßende Lächeln von vorhin zeigte sich wieder auf seinen Lippen.

»Vielleicht will ich nicht nach Sibirien, Sonja«, sagte er.

Sonja blickte ihn rasch an.

Nach dem ersten leidenschaftlichen, qualvollen Ausbruch ihres Mitgefühls mit dem Unglücklichen erschütterte sie aufs neue die furchtbare Vorstellung des Mordes. In dem ver-änderten Ton seiner Worte hatte sie plötzlich den Mörder vernommen. In starrem Staunen sah sie ihn an. Sie wußte noch nichts – weder weshalb noch wie noch warum das ge-schehen war. Jetzt erhoben sich mit einemmal alle diese Fragen vor ihr. Und wieder vermochte sie es nicht zu glauben: er soll ein Mörder sein? Ja, ist denn das möglich?

»Was ist das? Wo bin ich nur?« sprach sie in tiefer Ver-wunderung, als wäre sie noch immer nicht recht bei sich. »Wie konnten Sie, Sie, ein solcher Mensch ... sich dazu ent-schließen? Wie konnte das geschehen?«

»Um sie zu berauben, wahrscheinlich! Hör auf, Sonja!« ant-wortete er müde, ja fast ärgerlich. Sonja stand da wie be-täubt, doch plötzlich schrie sie auf: »Du hast Hunger ge-litten? Du ... du wolltest deiner Mutter helfen? Nicht wahr?«

»Nein, Sonja, nein«, murmelte er, wandte sich ab und

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