auch die Wohnung gegenüber, die unbewohnt war. Im dritten Stock stand die Wohnung unmittelbar unter der der Alten al-lem Anschein nach ebenfalls leer: die Visitenkarte, die mit Nägelchen an der Tür befestigt gewesen war, war nicht mehr da – man war also ausgezogen! ... Er atmete schwer. Für einen Augenblick schoß ihm die Frage durch den Kopf: Soll ich nicht lieber zurückgehen? Aber er gab sich keine Antwort darauf und begann vor der Wohnung der Alten zu lauschen. Totenstille. Dann lauschte er nochmals die Treppe hinab; er lauschte lange und aufmerksam ... Jetzt blickte er sich um, raffte sich zusammen, machte sich zurecht und faßte noch einmal nach dem Beil in der Schlinge. Bin ich nicht allzu ... blaß? dachte er unwillkürlich. Sehe ich nicht zu aufgeregt aus? Sie ist mißtrauisch ... Soll ich nicht noch warten ... bis mein Herz aufhört zu klopfen? ...

Aber sein Herz beruhigte sich nicht. Im Gegenteil, es schlug immer stärker, stärker, stärker ... Er hielt es nicht mehr aus, streckte langsam die Hand zum Klingelzug aus und läutete. Nach einer halben Minute klingelte er noch ein-mal, etwas lauter.

Niemand kam. Sinnlos zu klingeln führte zu nichts, und es lag auch nicht in seiner Art. Natürlich war die Alte zu Hause, doch sie war argwöhnisch und allein. Er kannte ihre Gewohnheiten ein bißchen ... und er preßte noch einmal das Ohr fest an die Tür. Ob nun seine Sinne so geschärft waren – was aber kaum anzunehmen ist – oder ob es wirk-lich so deutlich zu hören war, jedenfalls vernahm er plötzlich ein Geräusch, als griffe eine Hand vorsichtig zum Türschloß und als raschelte ein Kleid hinter der Tür. Jemand stand drinnen, die Hand am Türgriff, und lauschte ebenso heimlich, wie er draußen lauschte, und hatte wohl gleichfalls das Ohr an die Tür gelegt ...

Absichtlich machte er eine Bewegung und murmelte etwas laut vor sich hin, um nicht den Anschein zu erwecken, als wollte er sich verbergen; dann klingelte er zum drittenmal, aber leise, verhalten und ohne jedes Zeichen von Ungeduld. Sooft er sich später hieran erinnerte, standen ihm diese Augen-blicke grell und klar vor Augen; sie hatten sich ihm für immer

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